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Meinung: Der Haushalt ist aufgeraucht

Von Ursula Weidenfeld

Wirklich überrascht hat es niemanden, dass Bundesfinanzminister Hans Eichel auch in diesem September zugeben muss, dass die Sache mit den Staatsfinanzen noch schlechter gelaufen ist als gedacht. Dass deshalb die Neuverschuldung noch höher ausfallen muss als geplant. Dass es vermutlich auch im kommenden Jahr nicht gelingen wird, die Neuverschuldung unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken, die der Vertrag von Maastricht verlangt. Erstaunlich war auch nicht, dass Eichel sich deshalb nicht mehr furchtbar viele Sorgen macht: Schließlich hat er den europäischen Stabilitätspakt gemeinsam mit Frankreich erfolgreich torpediert. Von Brüssel aus droht vorerst kein Unheil.

Erstaunt hat vielmehr die Beiläufigkeit, mit der Eichel den neuen Grund für die wachsende Verschuldung nennt: War es bisher die schwache Konjunktur, so ist es diesmal der Steuerbürger selbst, der Eichels supersolide Haushaltspläne zum Einstürzen bringt. Die Leute rauchen nicht wie geplant, sie fahren weniger Auto als Eichel das gern hätte. Die Steuerflüchtlinge, denen er Straffreiheit versprochen hat, wenn sie ihr Geld ordnungsgemäß zurückbringen, wollen auch nicht so, wie Eichel will. Nichts funktioniert so wie gedacht.

Das hat einen ziemlich einfachen Grund: Das Steuersystem ist mit so vielen steuerfremden Motiven belastet, dass zuverlässige Schätzungen über das Aufkommen kaum noch möglich sind. Bei der Tabaksteuer hat Eichel gemeinsame Sache mit den Sozialpolitikern gemacht. Es handele sich gar nicht um eine Steuererhöhung, haben sie verkündet, sondern um eine Investition in die Gesundheit der Menschen. Nun rauchen die Menschen weniger – und Eichel fängt das Jammern an. Ein guter Finanzpolitiker verkneift sich das Bedürfnis, mit Steuersätzen und Sonderabgaben Einfluss auf das Verhalten der Steuerzahler zu nehmen. Er sorgt nur dafür, dass der Staat das Geld bekommt, das er braucht. Und dass er nicht mehr ausgibt, als er hat. Ein solcher Politiker aber ist Hans Eichel nicht. Zuerst hat er Finanzpolitik mit Sparpolitik verwechselt. Dann hat er sie mit Konjunkturpolitik verwechselt. Jetzt leidet er daran, dass er sie auch noch mit Sozialpolitik verwechselt hat.

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