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Meinung: Der hoffnungslose Aufstand

Eine unabhängige Provinz Aceh wird Indonesien nicht zulassen – zu Recht Von Rüdiger Siebert

Die indonesische Regierung hat über Aceh das Kriegsrecht verhängt. In der UnruheProvinz im Norden Sumatras herrscht nun wieder Gewalt. Damit ist der vorerst letzte Versuch gescheitert, das erneute Aufflammen des Kampfes um Aceh diplomatisch zu verhindern. In Tokio konnten sich Vertreter der indonesischen Regierung und Abgesandte der islamisch geprägten Unabhängigkeitsbewegung „Freies Aceh“ (GAM) nicht auf eine Friedensregelung einigen. Die Hoffnung, einer der ältesten und blutigsten Konfliktherde Indonesiens könnte endlich mit internationaler Hilfe beigelegt werden, hat getrogen: Jetzt wird wieder und weiter gebombt und geschossen.

Es ist ein ungleicher Kampf zwischen der hochgerüsteten Armee mit Spezialeinheiten und den schätzungsweise 4000 bis 5000 bewaffneten Guerilleros der Bewegung, die im Namen Allahs die Abtrennung der Provinz Aceh von Indonesien fordern. Der Konflikt zwischen den Rebellen und der Zentralregierung im 1700 Kilometer entfernten Jakarta dauert bereits seit einem Vierteljahrhundert an, hat bisher mehr als 12 000 Menschen das Leben gekostet und Hunderttausende in die Flucht getrieben.

Die Weltöffentlichkeit hat diesen Aufstand nie besonders aufmerksam zur Kenntnis genommen. Er galt und gilt als eine inner-indonesische Angelegenheit. Aceh an der Nordspitze Sumatras von etwa der Größe Bayerns mit 4,3 Millionen Einwohnern ist eine Hochburg des konservativen Islam. Bei der Islamisierung Südostasiens hat Aceh eine herausragende Rolle gespielt. In Jahrzehnte währendem Widerstand setzten sich die Moslems von Aceh Ende des 19. Jahrhunderts gegen die Europäer zur Wehr. Mit diesem Willen zur Unabhängigkeit haben sich gerade die Krieger von Aceh für die Republik Indonesien stark gemacht und die nationalistische Bewegung des Gründungs-Präsidenten Sukarno in den 40er Jahren unterstützt. Doch die Acehnesen mussten bitter erfahren, dass dem kolonialen Joch die ausbeuterische Bevormundung durch die neuen Herren im fernen Jakarta folgte.

In ihrem islamischen Stolz verletzt und um die Früchte des Unabhängigkeitskampfes betrogen, griffen die Männer wieder zu den Waffen. 1976 formierte sich die „Bewegung Freies Aceh“. Das indonesische Militär schlug zurück.

Die neuerliche Ausrufung des Kriegsrechtes erfolgte fast auf den Tag genau fünf Jahre nach dem erzwungenen Rücktritt des Generals-Präsidenten Suharto. Das mag Zufall sein, kennzeichnet aber auf fatale Weise, dass sich seit dem Mai 1998 nur wenig verändert hat, wenn es um die Durchsetzung von Macht im Sinne der Militärs geht. Suharto hatte mehr als drei Jahrzehnte lang mit eiserner Faust den Archipel der 17 000 Inseln beherrscht und mit seinem Clan und den ihn stützenden Militärs das an Naturschätzen reiche Indonesien wie einen Selbstbedienungsladen ausgeplündert.

Unter den Suharto-Nachfolgern Habibie und Abdurrahman Wahid schien sich die Lage zu entspannen, und auch die gegenwärtige Präsidentin Megawati Sukarnoputri setzte den Kurs der Annäherung fort. Im Dezember 2002 beschlossen die Konfliktparteien in Genf ein Waffenstillstandsabkommen, einen besonderen Autonomiestatus und den Dialog unter Beteiligung internationaler Beobachter. Doch offenbar war es das Papier nicht wert, auf dem solche Abmachungen unterzeichnet worden waren. Beide Seiten warfen sich bald Vertragsbrüche vor.

Das gegenseitige Misstrauen sitzt zu tief. Die GAM ist in sich gespalten. Ihre Kämpfer können sich zwar militanter Attacken rühmen; ihre Führer aber sind politisch wie diplomatisch unerfahren und ihrer Rolle als Verwalter neuer Freiräume nicht gewachsen. Andererseits haben sich die Hardliner des indonesischen Militärs nie damit abgefunden, nach Suhartos Abgang ins zweite Glied zurücktreten zu müssen. Längst bestimmen sie wieder die Politik des Landes. Der Vergleich mit Ost-Timor ist naheliegend, doch der Fall ist anders. Ost-Timor gehörte zum portugiesischen Weltreich. Deshalb stimmte Jakarta nach einem Vierteljahrhundert der Besetzung Ost-Timors dessen Unabhängigkeit vor einem Jahr schließlich zu. Die Grausamkeiten, mit denen das indonesische Militär und seine militanten Helfershelfer in Ost-Timor die Loslösung aus ihrem Machtbereich hintertrieben, sind bis heute ungesühnt. Aceh aber ist als Folge der kolonialen Grenzziehung ein Teil der 1945 unabhängig gewordenen Republik Indonesien.

Eine Abspaltung würde den Staat in seinen Grundfesten erschüttern, würde den Ruf nach Selbstständigkeit in anderen Regionen des Archipels ermutigen. Der Zerfall Indonesiens würde die Stabilität Südostasiens gefährden. Der Fortbestand liegt ebenso im Interesse der Nachbarstaaten wie der Vereinten Nationen. Der neuerliche Krieg verhärtet Fronten, bringt abermals unendliches Leid über die zivile Bevölkerung, führt zu deren Entwurzelung und behindert die wirtschaftliche Entwicklung. Es gibt nur einen Ausweg aus dem Dilemma: Es ist der Weg zum Verhandlungstisch. Mehr denn je ist internationale Vermittlung erforderlich.

Der Autor war lange Indonesienexperte der Deutschen Welle. Foto: Horlemann Verlag

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