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Meinung: Der Kampf um die Existenz

Von Dieter Fockenbrock In diesem Jahr soll es ans Eingemachte gehen. DGB-Chef Dieter Schulte ist jedenfalls fest entschlossen, „einen kräftigen Schluck aus der Pulle“ zu nehmen, um die Binnenkonjunktur anzukurbeln.

Von Dieter Fockenbrock

In diesem Jahr soll es ans Eingemachte gehen. DGB-Chef Dieter Schulte ist jedenfalls fest entschlossen, „einen kräftigen Schluck aus der Pulle“ zu nehmen, um die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Klaus Zwickel, sein Kollege von der IG Metall, assistiert: Die Metaller wollen ab nächste Woche für mehr Geld streiken, „um den Aufschwung zu fördern, nicht, um ihn „kaputt zu streiken“. Klaus Wiesehügel glaubt das „Märchen vom Lohnverzicht, das Arbeitsplätze schafft“ ohnehin nicht mehr; Zurückhaltung im Tarifpoker hat sich für den Baugewerkschaftschef nicht gelohnt. Jetzt wird gefordert. Starke Worte.

Starke Worte haben Tradition an einem solchen Tag. Schließlich ist der 1. Mai der Tag der Gewerkschaften. Da gilt es, die Rolle der Arbeiter und Angestellten in dieser Gesellschaft öffentlich und lautstark zu definieren – wenigstens ein Mal im Jahr. Da gilt es rücksichtslosen Unternehmern, arroganten Bankern und wem auch immer Grenzen zu setzen und klar zu machen, dass es den Gewerkschaftern auch in diesem Wirtschaftsystem nur um einen geht: den kleinen Mann. Und natürlich geht es um die Funktionäre selbst, die sich und ihrer schwindenden Mitgliederschaft klar machen müssen, warum sie noch wichtig sind.

Starke Worte nimmt es an diesem Tag deshalb niemand übel. Doch in diesem Jahr wird ausgerechnet der „Tag der Arbeit“ dazu genutzt, die Republik auf Arbeits-Niederlegung einzustimmen. Nicht nur die IG Metall, die sich passgenau tags zuvor bei ihren Mitgliedern das Votum zum Streik abgeholt hat, sondern auch die IG Bau scharrt mit den Füßen. Seit Jahren geht es keiner Branche so schlecht wie der Bauindustrie, trotzdem sind Arbeitskämpfe in Sicht.

Ausgerechnet jetzt, mag sich mancher wundern, lassen die Funktionäre die Muskeln spielen. Die Konjunktur kommt und kommt nicht in Fahrt, allen positiven Prognosen weiser Wirtschaftsforscher zum Trotz. Selbst in den USA, die einmal mehr die Lokomotive im weltweiten Aufschwung sein sollen, mehren sich Zweifel, ob und wenn doch, wann es nun endlich aufwärts geht. Dass Deutschland obendrein das Schlusslicht in Europa spielt, macht alles noch viel schlimmer.

Von der unverändert hohen Arbeitslosigkeit ganz zu schweigen. Gut, die Reform der Arbeitsämter ist – nach dem Skandal um frisierte Statistiken – auf den Weg gebracht. Doch das Problem der massiven Unterbeschäftigung in Deutschland ist damit noch lange nicht gelöst. Schließlich geht es nur um die Reform der Verwaltung von Arbeitslosigkeit. Das spüren selbst diejenigen, die sich angesichts des plötzlichen Reformeifers vorerst beruhigt zurückgelehnt haben.

Und dann sind da noch die bevorstehenden Bundestagswahlen, die Anlass zu der Frage geben, was denn die Herren Gewerkschaftsfunktionäre reitet, gerade jetzt mit Arbeitskämpfen und starken Worten ins Geschehen einzugreifen. Natürlich richten sich Streiks nicht gegen die Regierung, sondern gegen die Arbeitgeber. Doch fest steht: Eskaliert der Tarifstreit, fällt das der amtierenden rot-grünen Bundesregierung auf die Füße. Kanzler-Herausforderer und CSU-Chef Edmund Stoiber wird sich bedanken, zumal der sich gerade als kompetenter Wirtschaftsexperte zu profilieren versucht.

Gerhard Schröder ahnt, was das Aufbäumen der Gewerkschaften für ihn bedeuten könnte. Nicht ohne Grund hat er am Mittwoch in Leipzig den Schulterschluss mit DBG-Chef Schulte gesucht. Aus gutem Grund hat er davor gewarnt, dass „alles den Bach runtergeht“ nur weil „die anderen“ drankommen. Doch längst haben viele Bundesbürger das Gefühl, den Bach sei alles ohnehin hinunter gegangen. Sie sparen sich deshalb die starken Worte am 1. Mai. Zur Hauptkundgebung in Leipzig sind nicht einmal 5000 Menschen gekommen.

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