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Meinung: Der Kaschmir-Konflikt: Noch ein Krieg gegen Terror?

Jetzt ist die Ausweitung des Krieges da. Mit Afghanistan allein werde der Kampf gegen den internationalen Terror nicht sein Bewenden haben, das hat Präsident Bush immer wieder gesagt.

Jetzt ist die Ausweitung des Krieges da. Mit Afghanistan allein werde der Kampf gegen den internationalen Terror nicht sein Bewenden haben, das hat Präsident Bush immer wieder gesagt. Kurz nach Weihnachten beherrscht tatsächlich ein neuer Feldzug die Schlagzeilen. Es geht jedoch weder um Somalia noch um Irak, sondern - um Kaschmir. Ein Konflikt zwischen den Atomwaffenstaaten Indien und Pakistan stand nicht auf Bushs Rechnung.

Krieg entzieht sich der genauen Planung, er entwickelt seine Eigendynamik. Diese Erfahrung hat die Nato bereits auf dem Balkan gemacht. Für die Öffentlichkeit entwickelte sich der Kampf gegen die serbische Vertreibungspolitik im Kosovo vor gut zwei Jahren nicht viel anders als jetzt die Kampagne in Afghanistan: die ersten Wochen bange Skepsis, ob das überhaupt gut gehen kann; dann, als sich Milosevics Kapitulation abzeichnete, freudige Erleichterung; bald darauf neues Erschrecken, als sich ein weiterer Krieg in Mazedonien anbahnte - ein Konflikt, der schon Jahrzehnte geschwelt hatte, aber durch die Auswirkungen der Kämpfe im Kosovo neu befeuert worden war. So wie jetzt der Kaschmir-Streit durch den Feldzug in Afghanistan. Krieg lässt sich nicht fugendicht isolieren.

Er vermag im besten Falle Teilprobleme zu lösen. Im Kosovo ermöglichte er die Rückkehr der Albaner, in Afghanistan wurde die Taliban-Diktatur gestürzt und das Al-Qaida-Netzwerk geschwächt. Aber Krieg schafft meist Folgeprobleme, im schlimmsten Fall sogar einen Folgekrieg - weil Kriege radikalisieren und zu fragwürdigen Koalitionen zwingen.

Die Zwiespältigkeit der breiten Allianz gegen den Terror lässt sich in vielen Weltregionen besichtigen: Nahost, Tschetschenien, Kaschmir. Sie führt zu Bündnissen mit Regimen, die selbst den Terror unterstützen, vor allem in der islamischen Welt. Und sie liefert anderen Staaten einen Vorwand, härter gegen innere und äußere Feinde vorzugehen, als sie sich das in normalen Zeiten erlauben dürften; denn nun können sie das ja als ihren Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ausgeben. Pakistan hat seit Jahren Terrorgruppen unterstützt, auch um innenpolitischen Druck zu kanalisieren - und jetzt soll es seine Ziehkinder aktiv bekämpfen?

Staatschef Musharraf meint, er habe schon genug geleistet und gelitten. Er hat trotz scharfer Proteste der Islamistengruppen Amerika Flugplätze für den Krieg in Afghanistan zur Verfügung gestellt. Und ertragen, dass das Pakistan-hörige Taliban-Regime beseitigt wurde. Einen Krieg gegen das militärisch weit überlegene Indien kann er nicht wollen, aber er möchte sich auch nicht zwingen lassen, nach indischem Diktat gegen die Urheber des Attentats auf das Parlament in Neu Delhi vorzugehen. Die USA werden ihm doch nicht gerade jetzt die Unterstützung entziehen, ihre Aufgabe in Afghanistan ist noch nicht beendet.

Indiens Premier Vajpayee wünscht den Krieg ebenso wenig, weil er sein Land zu viel kostet: Ressourcen und Ansehen. Aber seine extrem nationalistische Hindu-Partei erwartet, dass er Stärke demonstriert. Und hat Israel nicht vorgemacht, dass man den Nachbarn durch harten militärischen Druck dazu zwingen kann, die eigenen Terroristen zu bekämpfen?

Da ist sie wieder: die gefährliche Eigendynamik des Krieges. Die Welt nimmt die Feuergefechte und die Verlegung von atomwaffenfähigen Mittelstreckenraketen instinktiv als Vorbereitung des dritten Krieges um Kaschmir wahr. Die Spezialisten wiegeln ab: Schießereien gehören in Kaschmir seit Jahren zum Alltag, nur seien jetzt Fernsehkameras dabei. Rhetorisch aufrüsten - das sei der beste Weg, die Kriegsgefühle in der Bevölkerung aufzunehmen, ohne Krieg führen zu müssen. Was aber, wenn der Instinkt vieler Menschen richtiger liegt als die Analysen der Experten?

Auf dem Balkan konnte ein Kosovo-Folgekrieg verhindert werden - dank einer aufwändigen Intervention Europas mit Diplomatie und Friedenstruppen. Um Kaschmir kümmern sich nun die USA. Zunächst mit Erfolg. Indien hat angekündigt, der Diplomatie noch einmal eine Chance geben zu wollen. Vorerst. Wahrscheinlich muss der Westen die Gefahr eines Krieges auf dem indischen Subkontinent weiter sehr ernst nehmen, wenn sie ihn verhindern will.

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