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Meinung: Der kleine große Wurf

Beim Agrarkompromiss hat Schröder eingelenkt – im Interesse der Beitrittskandidaten

In Brüsseler Hinterzimmern verkündeten Pessimisten dieser Tage bereits das Schlimmste: Der Zeitplan der Erweiterung sei nicht einzuhalten, zu viele Stolpersteine blockierten den Weg. So ist der Kompromiss zwischen Schröder und Chirac über die Agrarfinanzierung zweifellos ein wichtiger Durchbruch. Besonders, weil es vorher danach aussah, als könnten sich gerade Chirac und Schröder nie auf eine gemeinsame Position über die Finanzierung der Agrarpolitik einigen.

Schröder hat diesen Kompromiss wider Erwarten ermöglicht, und ist so auf der Skala für staatsmännisches Handeln einen großen Schritt vorgerückt. Zur nationalen Pfennigfuchserei besteht in diesem Fall ohnehin kein Anlass, weil die deutsche Wirtschaft einer der Hauptprofiteure der Erweiterung sein wird. Und auch wenn es ein redliches Interesse ist, den Moloch der Agrarsubventionen zu reformieren, wäre es unverantwortlich gewesen, wenn Deutschland deshalb die Erweiterung verzögert hätte. Schröder hat jetzt glaubwürdig bewiesen, dass er deutsche Haushaltsinteressen nicht zum einzigen und obersten Maßstab macht. Er hat als Europapolitiker an Statur gewonnen – ganz gegen seinen bisherigen Ruf. Gleichzeitig hat Schröder aber konsequent betont, dass er nicht bereit ist, alle aufreißenden Löcher mit deutschem Geld zu stopfen.

Zufrieden können alle sein, die befürchteten, mit der Erweiterung werde es zu einer unermesslichen Ausweitung der Agrarausgaben kommen. Schröder hat erreicht, dass zehn neue Mitglieder in die EU aufgenommen werden, ohne dass die Kosten für die alten Mitglieder unkalkulierbar steigen. Für den Agrarhaushalt werden sie bis 2013 mit einer festen Inflationsrate auf dem Niveau von 2006 eingefroren werden. Das heißt, die Bauern in der Normandie und der Bretagne, am Niederrhein und in Mecklenburg-Vorpommern müssen die Direktbeihilfen für die polnischen, ungarischen und anderen beigetretenen Bauern finanzieren. Nach welchem Schlüssel das geschehen soll, wie der Verzicht organisiert wird, ist noch nicht entschieden. Sicher ist, dass die Landwirtschaft in den alten Mitgliedstaaten weiter auf die EU-Unterstützung rechnen kann.

Aus Sicht der Bauernverbände hätte vieles schlimmer kommen können. Chirac hat dafür gesorgt, dass sich das Subventionskarussel möglichst lange weiter dreht. Er wollte die geplante Reform der Agrarpolitik so weit wie möglich stoppen. Das ist ihm gelungen: Wenn der Agrarhaushalt nicht schrumpft, wird das Interesse an einer Veränderung der Agrarstruktur schnell abnehmen. Eine verbraucherorientierte Landwirtschaftspolitik, wie EU-Agrarkommissar Fischler sie will, ist somit in weite Ferne gerückt. Nun kann solch eine Reform vielleicht erst im Jahr 2007 angepackt werden, dann jedoch unter erschwerten Bedingungen.

Im Kreis der 15 wurde darüber gestern heftig gestritten. Der deutsch-französische Kompromiss hat den Weg für diesen Streit freigemacht. Wenn die heutigen EU-Länder sich einigen, beginnt die Auseinandersetzung mit den Kandidaten. Sie sind mit den angebotenen gestaffelten Beihilfen keineswegs zufrieden. Doch unterem Strich wird es ihnen um ein Vielfaches besser gehen als bisher, wenn sie akzeptieren. Immerhin garantieren die alten Mitgliedstaaten den neuen, dass keiner von ihnen Nettozahler werden soll. Sie sollen also nicht mehr in die Kasse einzahlen müssen als sie herausbekommen. Wenn die Beitrittskandidaten jetzt die Kröte „Angleichung“ schlucken, können sie dann ab 2004 als gleichberechtigte EU-Mitglieder über die zukünftige Verteilung der Finanzmittel mitentscheiden.

Mariele Schulze Berndt

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