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Katja Kipping ist neue Vorsitzende der Linkspartei.

© AFP

Der Körperleser: Die, die mit der Macht tanzt

Ihr Blick geht zur Seite, als würde sie den Kontakt zum Gegenüber vermeiden wollen. Im Machtkampf scheint Katja Kipping ihre Standfestigkeit verlieren zu können. Kolumnist Ulrich Sollmann analysiert die Körpersprache der neuen Vorsitzenden der Linkspartei.

Ihre Augenlider flackern augenfällig. Die Lippen, leicht nach vorne gestülpt, unterstützen, man könnte beinahe sagen, ihr Dauerlächeln, was zunehmend in den jeweiligen Gesprächen den Eindruck eines eher maskenhaften Lächelns vermuten lässt. Als Katja Kipping am vergangenen Samstag durch die Moderatorin im Heute Journal nach der überzeugenden Wahl zur Parteivorsitzenden mit dem Machtkampf in der Partei der Linken direkt und unmissverständlich konfrontiert wird, verstärkt sich unmittelbar das Flackern der Augenlider. So wie in anderen ähnlichen Gesprächsoffensiven, denen sie sich auf der öffentlichen Bühne zuvor ausgesetzt hatte.

Ihr Blick geht zur Seite, so als würde sie den Kontakt zum Gegenüber vermeiden wollen. So als würden die klaren und offensiven Fragen der Moderatorin zu nah kommen. Hatte diese doch an Gysis beim Parteitag vehement vorgetragene Einschätzung vom Hass in der Partei, der zur Spaltung führen würde, erinnert. Hatte diese auch Lafontaines fast demagogische Aufforderung zitiert, man dürfe das Wort Spaltung noch nicht einmal in den Mund nehmen.

Ihr Kopf neigt sich noch deutlicher nach links. Die linke Schulter hebt sich und verharrt in der angehobenen, sichtlich angespannten Position, um sich bei der nächsten Frage noch mehr zu heben. Noch mehr anzuspannen. Dabei dreht sie sich, ähnlich wie in anderen Gesprächen auf der öffentlichen Bühne, mit dem Oberkörper leicht nach rechts. Und redet nur noch deutlich abgewandt weiter.

Katja Kipping will nichts wissen von der möglichen Selbstzerfleischung der Partei der Linken. Es ginge nicht um Sieg und Niederlage, betont sie. Es ginge nicht um das, was die Vorgänger schlecht gemacht hätten. Man sollte sich nicht bei den Alt-Granden der Partei aufhalten. Sondern man sollte sich wohl lebendig streiten. Der Parteitag hätte ihr gezeigt, dass man bereit sei, „die Dinge in Zukunft anders zu machen“. Sie spricht hierüber mit einem Ton von visionärer Überzeugung. Das eindeutige Wahlergebnis von Frau Kipping könnte diese Überzeugung bestätigen.

Gastautor Ulrich Sollmann.
Gastautor Ulrich Sollmann.

© Marc Steffen Unger

Sie würde für die solidarische Moderne stehen, unterstreicht sie ruhig, mit klarer Stimme und unmissverständlich. Kipping fühlt sich sicherer, wenn auch ihre Körpersprache die andere Seite ihres Reaktionsmusters unter Stress in der Öffentlichkeit nicht verbergen kann.

Gewiss gewinnt Kipping durch ihre rhetorische Stärke. Die Raffinesse ihrer Wortwahl und stimmlichen Klarheit in der Betonung. Wäre da nicht jedes Mal, wenn sie zu sprechen aufhört, dieses seltsame, fast schon geheimnisvolle Lächeln über ihr Gesicht gehuscht. Das Lächeln, das maskenhafte Züge bekommt, wenn ihr Gegenüber zu sprechen beginnt. Das Lächeln, das sich wie automatisiert einstellt. Auch wenn es nichts zu lächeln gibt.

Das Lächeln, das nur mühsam über die Hilflosigkeit hinwegtäuschen kann, wenn Kipping offen Gegenwind bekommt, wie beispielsweise durch Herrn Henkel in der Talkshow Maischberger. Henkel unterbricht sie ständig, mit penetranter, schneidender Stimme, bis Frau Kipping nur noch fast schon hilflos ( verzweifelt? ) sich zu rechtfertigen beginnt.

Es geht mir an dieser Stelle nicht um die Bewertung des Gesprächsverhaltens von Herrn Henkel. Nein. Ich bin bedacht, darauf zu schauen, wie sich Frau Kipping vor allem unter Stress, und Henkel hat nun mal ordentlich Stress gemacht, mit den ihr typischen Verhaltensmustern zeigt. Wird sie nicht doch, so könnte man fragen, in ihrer Rolle als Parteivorsitzende im Kampf zwischen Hass, Spaltungsgefahr und Demagogie eine entscheidende Rolle in diesem explosiven Stressgeschehen spielen. Und soll der Auftrag, den sie durch die Wahl zur Parteivorsitzenden bekommen hat, nicht doch auch unter dem Motto des Parteitags, nämlich solidarisch, gerecht und vor allem friedlich, abgewickelt werden.

Der Geschichte der Linken - von der Gründung bis zur jüngsten Zerreißprobe:

Katja Kipping will weg vom Lagerdenken hin zu einem „gemeinsamen Denken“. Sie vertraue – so betont sie vor ihrer Wahl – auf die Rationalität desjenigen, der gewählt wird. Sie ist mit einem eindeutigen Ergebnis gewählt.

Sie steht nun selbst vor dieser außergewöhnlichen Herausforderung in der, wie die Frankfurter Rundschau es pointiert, neurotischen Partei. Politisch gesehen: mit visionärer Gerechtigkeitsauffassung die geballte Emotionalität der beiden Granden zu bändigen.

Kipping gilt als unangepasst und modern. Würde sich von niemandem in der Partei vor den Karren spannen lassen. Hätte ein „gesundes Machtbewusstsein“. Und bekennt freimütig, dass sie „im Wettbewerb um Lautstärke nicht gewinnen könne“. Wenn sie so spricht, glaubt man ihr den erhofften Erfolg.

Spricht sie hingegen, wenn es Stress gibt, und Machtkampf ist nun wirklich Stress, hat sie Probleme, im Kontakt mit den angreifenden Personen zu bleiben. Sie dreht sich dann faktisch, körperlich aus der Beziehung raus, um der offensichtlichen Bedrohung durch besagte geballte Energie zu entweichen. Sie kann den Augenkontakt nicht halten. Ihr maskenhaftes Lächeln ist dann Angriff und Verteidigung zugleich.

Sie scheint ihre Standfestigkeit im Machtkampf, in der unmittelbaren Auseinandersetzung, verlieren zu können.

Kipping kann aber auch anders. Anfangs noch mit dem Oberkörper, wie man es von ihr unter Stress fast erwarten würde, leicht zur Seite gedreht und im Stehen zu stark nach hinten gelehnt, folgt sie skeptisch den Überraschungen, die Stuckrad in seiner Late Night Show für sie vorbereitet hat. Um sich dann sichtbar und hörbar aus der Rolle der Beobachterin herauszuwagen. Mit subtilem Humor. Mit treffsicherer Schlagfertigkeit. Und rhetorischem Geschick.

Um schließlich von Stuckrad zum Tanz aufgefordert zu werden. Tanzen sei doch ihre Leidenschaft, betont er. Kippping tanzt elegant, anmutig, aufrecht und selbstsicher. Sie lässt sich führen und genießt Bewegung und Drehung zugleich. Und sie führt Stuckrad. Kipping versteht ihr Geschäft.

Kontakt zum Autor: info@sollmann-online.de

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