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Meinung: Der Nutzen heiligt die Mittel

Warum unser Gesundheitssystem nicht teuer sein muss

Alexander S. Kekulé Wenn es um Gesundheit geht, reden alle nur über Geld. Gleich zu Beginn der Reformdebatte hat die Kanzlerin im Bundestag die G-Frage persönlich beantwortet: Es wird in Zukunft teurer werden. Damit war das Reformprojekt eigentlich schon zum Scheitern verurteilt. Diejenigen, die sich vom 240-Milliarden-Fleischtopf des Gesundheitssystems ernähren, wollen jetzt möglichst viel von der versprochenen Extraration abbekommen. Und die Experten der großen Koalition beraten, mit welchem Geld sie all die hungrigen Mäuler stopfen sollen.

Die 22 000 Ärzte an den Unikliniken haben als erste und sehr laut geschrien und einen – letztlich angemessenen – Aufschlag bekommen. Als nächstes stehen die 124 000 an anderen Krankenhäusern tätigen Mediziner für ihre Merkel-Ration an, dann kommen die 126 000 Niedergelassenen dran. Zugleich steigen die Ausgaben für Medikamente und Heilmittel weiter. Nach derzeitiger Schätzung liegt die Finanzierungslücke der gesetzlichen Kassen bei acht bis zehn Milliarden Euro jährlich, Tendenz steigend.

Das deutsche Gesundheitssystem ist das drittteuerste der Welt, bei den Qualitätsrankings liegt es jedoch nur auf den Plätzen 20 bis 25. Mindestens ein Drittel aller Leistungen ist medizinisch überflüssig oder sogar schädlich. Eine wirksame Reform muss deshalb mit Strukturänderungen und Einsparungen beginnen, nicht mit zusätzlichen Ausgaben.

Auch die häufig zitierte Formel, wonach Alterung der Bevölkerung und wissenschaftlicher Fortschritt zwangsläufig mehr Kosten produzieren, ist falsch. Die Zahl der medizinischen Fortschritte, die tatsächlich das Leben von Patienten verlängern oder Leiden mindern, ist vergleichsweise klein. Viele medizinische Weiterentwicklungen führen sogar zu Einsparungen, etwa Impfungen oder endoskopische OP-Techniken. Auch die steigende Lebenserwartung bedeutet nicht automatisch höhere Gesundheitskosten.

Jeder Mensch verursacht in den Monaten vor seinem Tod die höchsten Kosten, unabhängig vom Sterbealter. Dabei ist die Zunahme der Lebenserwartung nicht etwa auf die Medizin, sondern in erster Linie auf gute Ernährung und Hygiene zurückzuführen: Ländervergleichende Studien zeigen, dass die medizinische Versorgung nur mit etwa zehn Prozent zur Gesundheit einer Bevölkerung beiträgt. Etwa die Hälfte aller Krankheiten können überdies durch gesunde Lebensführung und Prävention vermieden werden.

Am Anfang einer wirksamen Reform steht also auch die Einsicht, dass mehr Medizin nicht mehr Gesundheit bedeutet. Und dass man die Verantwortung für die eigene Gesundheit nicht abgeben kann, weder an den Arzt noch an die Solidargemeinschaft.

Was soll die Solidargemeinschaft des Staates also leisten? Was bedeutet „Solidarität“ im gesundheitlichen Sinne?

Die pragmatische Antwort ist einfach: Jeder Kranke muss die Hilfe bekommen, die er dringend benötigt und die objektiv wirksam ist. Das bedeutet künstliche Hüftgelenke auch für Alte, Lebertransplantationen auch für ehemalige Säufer und teure Krebsmittel auch für Sozialhilfeempfänger. Das alles steht aber unter einer Bedingung: Der Nutzen muss wissenschaftlich nachgewiesen sein. Damit fällt rund ein Drittel aller Leistungen aus dem Katalog – von unwirksamen Chemotherapien über sinnlose Knieoperationen bis zu nutzlosen Infusionen bei Hörsturz. Sinnlose Medizin weiter zu bezahlen, ist nicht solidarisch, sondern dumm.

Eine strengere Definition von Solidarität hilft auch, die Hauptstreitfrage der Finanzierung zu beantworten. An der dann deutlich billigeren Grundversorgung müssten sich alle Bürger beteiligen, auch die privat versicherten – aus der gesellschaftlichen Solidarität mit Kranken darf sich niemand verabschieden, schon gar nicht die Besserverdienenden.

Im Gegenzug sollten aber auch alle Bürger einen Anspruch auf eine medizinische Grundversorgung haben, also auch die privat versicherten. So wären die (durchaus zahlreichen) Menschen abgesichert, die im Alter die hohen Prämien ihrer Privatkassen nicht mehr bezahlen können. Diese Menschen dürfen derzeit nicht mehr in die gesetzlichen Kassen zurück. Das zu ändern, hat auch etwas mit Solidarität zu tun.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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