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Meinung: Der Politische ist privat

Das Ziel ist nicht der gläserne Abgeordnete, sondern der anständige

Von Robert Birnbaum

Man kann über die Wissenschaftlichene Dienste des Deutschen Bundestages manches sagen, eins aber gewiss nicht: dass sie ihrem Auftraggeber nach dem Maul zu reden pflegten. Im Gegenteil sind die Spezialisten im Dienste der Volksvertretung oft für unbequeme Gutachten gut. Dies als vorsorgliche Vorrede gegen den nur allzu rasch geäußerten Verdacht, wer im Bundeshaus sitze, werde doch nicht mit Steinen werfen.

Die Vorrede ist nötig, weil sich die Wissenschaftlichen Dienste einer brisanten Materie angenommen haben: Soll und darf der Abgeordnete gezwungen werden, seine Nebenverdienste offen zu legen? Die Antwort wird all jene nicht so recht zufrieden stellen, die den gläsernen Parlamentarier zu ihrem Ideal erhoben haben. Im Prinzip, sagen nämlich die Gutachter, ist gegen eine Offenlegung aller Einkünfte nichts zu sagen. Im Detail aber schon. Ärzte und Anwälte, Unternehmer und Freiberufler nennt das Papier als augenfälligste Beispiele für Problemfälle. Sie alle seien teils durch Standesrecht und Datenschutz, teils durch die wirtschaftliche Vernunft gehindert, offen darzulegen, wie viel sie verdienen und von wem.

Interessant ist aber weniger diese Auflistung als die Begründung der Bundestagsjuristen. Der Kernsatz lautet: „Der Abgeordnete ist auch Privatperson und Bürger.“ Das klingt schlicht und schlicht selbstverständlich. Aber in der Nebentätigkeitsdebatte ist dieser Satz kaum je aufgetaucht, und über seine Folgen hat erst recht kaum einer nachgedacht. Allzu plausibel wirkte angesichts der offenkundigen Koof-mich-Fälle von Arentz (CDU/RWE) über Janssen (SPD/VW) bis Flach (FDP/Siemens) der Ruf nach der radikalen Generallösung. Die folgt dann oft der Losung: Volksvertreter ist ein Vollzeitjob – wer daneben Geld verdient, hat es entweder nicht verdient oder vernachlässigt sein Mandat.

In der Theorie ist das höchst einleuchtend. In der Praxis ist das Leben komplizierter. Zur kaum bekannten Praxis gehört zum Beispiel, dass Bundestagsabgeordnete ihr Mandat im Schnitt keine zwei Legislaturperioden hindurch behalten. Für viele ist nach vier Jahren Schluss, für viele weitere nach acht. Von einem Bundestagsneuling zu fordern, er müsse seinen Beruf aufgeben, ist also selbst eingedenk der üppigen Altersversorgung der Parlamentarier zu viel verlangt. Wenn nun aber gleichzeitig die Offenlegung der Bezüge zumindest von bestimmten Berufsgruppen ebenfalls nicht erwartet werden darf – ja, was dann?

Dann sind wir wieder ziemlich genau dort, wo wir heute schon sind. Nämlich weg von der radikalen Generallösung. Das Bundestagsgutachten enthält eine ganze Reihe Hinweise darauf, wie die schon heute bestehende Berichtspflicht der Abgeordneten über ihre Einkünfte an den Bundestagspräsidenten erweitert und dessen Möglichkeiten zur Kontrolle wie zur Bestrafung von Verstößen gestärkt werden kann. Diese Hinweise sollte sich das Parlament schon zu Herzen nehmen.

Aber der gläserne Abgeordnete kommt am Ende nicht dabei heraus. Und das ist wahrscheinlich sogar ganz gut so. Die Durchsichtigkeit, die selbst die radikalsten Lösungsvorschläge versprechen, wäre ja auch wieder nur ein schöner Schein. Der Abgeordnete als Privatperson und Bürger ist vielen Einflüssen ausgesetzt, von denen die finanziellen noch die simpelsten sind. Sich dieser Einflüsse zu erwehren ist eine ständige Herausforderung an jeden Parlamentarier, der sich als Vertreter des ganzen Volkes versteht. Per Abgeordnetengesetz garantieren lässt sich diese Haltung nicht. Dafür hat sie zu viel mit Anstand zu tun, einer Kategorie, die nicht justiziabel ist. Politisch bestrafen lässt sich der Unanständige aber schon. Wie bisher, wie gesagt.

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