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Meinung: Der populäre Störenfried

Horst Köhler ist im Volk beliebter als bei Polit-Profis

Bundespräsident Horst Köhler macht sich in der politischen Klasse unbeliebt – und wird in der Bevölkerung immer beliebter. Die kürzeste Erklärung für dieses kleine Wunde: Eben drum! Für eine politische Lehre daraus muss ich etwas weiter ausholen.

Zur Erinnerung: Noch jeder Bundespräsident ist beliebt geworden. Das galt sogar für Heinrich Lübke am Anfang seiner Amtszeit. Das galt auch für Karl Carstens, über dessen angekündigte Etappenwanderung durchs (westliche) Vaterland die politischen Auguren nur spotten konnten – nur dass immer viele Leute mitgingen. Und das galt erst recht für Johannes Rau, dessen später Einzug ins Schloss Bellevue selbst von vielen seiner Weggenossen nicht eben mit Begeisterung unterstützt wurde – und der sich selber fragte, weshalb die Politiker und Journalisten so lästerten, wo ihn die Leute doch so mochten. Zwar macht das Amt nicht den Mann, aber es hebt ihn. Zudem sind die Gesichtspunkte und Bedingungen, unter denen Bundespräsidenten Ansehen erringen, andere als jene, die für gewöhnliche Politiker gelten.

Das Erstaunliche an der Beliebtheit Köhlers – und das zweite Wunder im ersten – ist es, dass die Mehrheit der Bürger seine Person schätzt, obwohl sie in dieser Majorität nie für „seine“ Politik stimmen würden. Jenseits des traditionellen Amtsbonusses für den parteipolitisch und gremientaktisch nicht verwickelten Präsidenten muss also etwas an ihm sein, was ihm selbst über die latente Ablehnung seiner politischen Ansichten hinaus Zustimmung verschafft.

Gerade dieses doppelte Wunder aber lässt sich am einfachsten erklären: Horst Köhler mag von den Politprofis betrachtet werden als relativ eng im Spektrum seiner Themen, in seiner Sprache als intellektuell nicht allzu kunstvoll, leider nicht in unendlichen Nebensätzen abgeschmeckt und diplomatisch entwürzt – die Leute aber hören den Mann, der von seiner Sache etwas versteht, der sich nicht über sie erhebt, der nicht mehr scheinen will, als er ist. Vor allem aber: Die Bürger sehen in Köhler einen Mann, der – anders als viele „normale“ Politiker – sagt, was er denkt; und der denkt, was er sagt. Und just die Wahrnehmung dieser Haltung ist ihnen offenbar wichtiger als die Differenz in den politischen Ansichten. Wenn er dann ein Gesetz (oder deren zwein) nicht unterschreibt, wird auch dies jenseits des Zirkels der Gesetzgeber und ihrer Echolote erst einmal als Ausweis sachbezogener Gründlichkeit verstanden.

Schiebt man einmal die keinesfalls unkritisch zu beantwortende Frage nach Köhlers Rollenverständnis für einen Augenblick beiseite, so ist die Lehre aus jenem doppelten Wunder wiederum eine zweifache. Es zeigen sich eine Chance und eine Gefahr.

Zunächst die Gefahr: Bundespräsidenten haben es geradezu konstitutionell insofern einfach, als sie nie um Mehrheiten für eine schwierige Politik der Zumutungen und nie um lausige Kompromisse in Gremien ringen müssen. Da fällt es leicht, authentisch zu sein. Daraus darf aber nie ein höchstrichterlicher Populismus werden, etwa nach dem Motto: Hier die wahren Probleme und Lösungen fürs Land, dort die platten und blassen Politiker.

Nun die Chance: Gerade das Beispiel des Köhlerschen Ansehenszuwachses könnte für die in ihrer Professionalität oft erblindeten Politiker (und Journalisten) eine Ermutigung sein, aus ihrem Politsprech und ihrem Taktik-Tanz öfter auszubrechen, das Tun dabei wichtiger zu nehmen als das Getue. Dafür Vorbild zu sein, das ist vielleicht die wichtigste Wirkungsmöglichkeit eines Bundespräsidenten.

Doch die agierenden Politiker möchten vom Bundespräsidenten am liebsten auf möglichst hohem Niveau in Ruhe gelassen werden. Dass das Volk dies anders sieht, könnte ihnen zu denken geben.

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