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Meinung: Der Schlüssel liegt in Warschau

Polen sollte den Umgang mit enteignetem Besitz klären – statt Reparationen zu fordern

Nun wird also zurückgeschossen – zum Glück nur verbal. Die Restitutionsansprüche einer winzig kleinen Gruppe deutscher Vertriebener, die sich anmaßend Preußische Treuhand nennt, beantwortet das polnische Parlament mit Reparationsforderungen an Deutschland. Es ist das Dokument einer unglaublichen Klimavergiftung, die man kaum für möglich gehalten hätte, gerade jetzt. Die großen politischen Entwicklunglinien weisen nicht zurück, sondern nach vorn: Die EU-Erweiterung hat die einschneidenste Folge des Weltkriegs, die Teilung Europas, korrigiert. Und da soll das Aufrechnen neu beginnen?

Wenigstens behält Polens Regierung einen kühlen Kopf. Sie distanziert sich von dem Parlamentsbeschluss, nennt ihn schädlich. Auch Deutschland sollte ruhig Blut bewahren. Sonst begeht es den Fehler, der zu dieser traurigen Eskalation geführt hat. Die unbedeutenden Aktivitäten der Preußischen Treuhand wurden in Polens Medien und Politik zu einer Schicksalsfrage der Nation aufgeblasen. In Polen herrscht Wahlkampf, so konnten Nationalpopulisten diese überflüssige Resolution vorantreiben. In der aufgeheizten Stimmung – die skandalöserweise auch von polnischen Medien in deutschem Besitz, wie dem Springer-Blatt „Fakt“ geschürt wird – will kein Abgeordneter sich eine unpatriotische Haltung vorwerfen lassen. So ähnlich kam es kürzlich zum polnischen Widerstand gegen die EU-Verfassung unter der kabaretttauglichen Parole „Nizza oder der Tod“ – und 1998 zum „Krieg der Resolutionen“: Eine von der CDU-Rechten initiierte Bundestagsresolution zur Vertreibung wurde mit einer scharfen Gegenresolution beantwortet. Am Ende blieben beide folgenlos.

Einfach ignorieren, das wäre auch jetzt das Beste. Denn das immerhin haben die Vernünftigen im Parlament durchgesetzt: Die Aufforderung an Polens Regierung, Reparationen zu verlangen, ist unverbindlich. Und rechtlich so gut wie ohne Basis. Formal hat Polen die ihm zustehenden Reparationen über die Sowjetunion erhalten. Der Einwand, die damalige Regierung in Warschau sei nicht legitimiert gewesen, überzeugt nicht. Das heutige Polen sieht sich auch sonst in der Rechtsnachfolge sowohl der Vorkriegsrepublik als auch des kommunistischen Staates.

So einfach geht es mit den Restitutions- oder Entschädigungsforderungen deutscher Vertriebener an Polen leider nicht. Erstens kann ein Rechtsstaat seinen Bürgern nicht verbieten, Privatklagen im Ausland anzustrengen, aber die tragen ja auch selber das Prozessrisiko. Zweitens liegt der Schlüssel zur Lösung in Warschau. Polen ist das einzige Land in Ostmitteleuropa, das den Umgang mit dem nach 1945 enteigneten Privatbesitz noch nicht geregelt hat. Die Verschiebung der Staatsgrenzen ändert an den privaten Eigentumsverhältnissen nichts.

Es ist jedoch eine Verzerrung, die Behandlung deutscher Vorbesitzer in den Mittelpunkt zu stellen. Es sind weit mehr polnische und jüdische Vorbesitzer betroffen. Der deutsche Aspekt will jedoch bedacht sein bei der Frage, ob es überhaupt Rückerstattung oder Entschädigung geben kann, denn ein Drittel des heutigen polnischen Staatsgebiets war vor dem Krieg in deutschem Privatbesitz. Undenkbar, dass da Grund und Boden einfach restituiert werden. Vermutlich würde angesichts dieser Lage auch jede substanzielle Entschädigung Polen überfordern. Viele in Polen träumen von einem Gesetz, von dem Polen (und notfalls auch Juden) profitieren, nicht aber Deutsche. Da ist jedoch das internationale Recht vor. Betroffene müssen gleichbehandelt werden.

Bleiben drei Auswege. Polen erklärt sich abschließend gegen Rückgabe und gegen Entschädigung; dann herrscht Rechtssicherheit, Polen und Juden gingen jedoch ebenso leer aus wie Deutsche. Oder Polen entschädigt – womöglich nur in symbolischen Größenordnungen – und die Bundesregierung setzt durch, dass Deutsche, die das in Anspruch nehmen, entsprechend den Lastenausgleich, den sie erhalten haben, zurückzahlen. Wer wird dann noch klagen? Warum beauftragen deutsche und polnische Regierung nicht eine internationale Juristenkommission mit der Lösung – gegen deren Vorschlag hätte die Preußische Treuhand vor Gericht wohl keine Chance.

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