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Meinung: Der Tag hat 28 Stunden

Berichterstattung zu den Nebeneinkünften von Peer Steinbrück Seit Herr Steinbrück zum Spitzenkandidaten der SPD gekürt worden ist, geistert die Debatte um seine Nebeneinkünfte durch die Medien. Dabei interessiert offenbar vor allem, wie viel er bekommen hat.

Berichterstattung zu den Nebeneinkünften von Peer Steinbrück

Seit Herr Steinbrück zum Spitzenkandidaten der SPD gekürt worden ist, geistert die Debatte um seine Nebeneinkünfte durch die Medien. Dabei interessiert offenbar vor allem, wie viel er bekommen hat. Mit der Bekanntgabe, dass es sich um Millionen gehandelt hat, gerät die Debatte zunehmend zu einer Neiddiskussion. Wie viel hat er denn nun wirklich bekommen? Ha, Millionen, wir haben’s ja immer gewusst.

Für mich geht es um etwas ganz anderes. Die Abgeordneten sind die von uns gewählten Vertreter, die ursprünglich einmal unsere Interessen, heute mehr die Interessen ihrer Partei, im Deutschen Bundestag wahrnehmen sollen. Um diese Aufgaben unabhängig und umfassend wahrnehmen zu können, erhalten sie ihre Diäten und die Aufwandsentschädigungen. Beide Einkünfte sind einem Fulltime-Job entsprechend bemessen. In der Tat hat ja ein Abgeordneter in seinem Wahlkreis, im Bundestag, in den Ausschüssen und in seiner Partei wirklich so viel zu tun, dass ihm nicht mehr viel Zeit für die Wahrnehmung anderer zusätzlicher Aufgaben zur Verfügung steht, ohne die Kernaufgabe, s. o., zu vernachlässigen. Wenn man dann einmal Gelegenheit hat, eine Debatte im Deutschen Bundestag live oder im Fernsehen zu verfolgen und dabei die vielen leeren Stühle sieht, fragt man sich schon, wo sind sie denn alle? Es sind ja nur wenige Wochen im Jahr, an denen der Bundestag tagt.

Für mich sind nicht die Einkünfte, sondern die vielen Nebenjobs an sich ein Skandal, der das dringende Einschreiten des Bundestagspräsidenten erfordern würde. Jede Nichtteilnahme an den Sitzungen müsste, wenn sie nicht plausibel und akzeptabel begründet wird, gerügt werden. Stattdessen wird aber nur über die Einkünfte aus den Nebentätigkeiten diskutiert, im Übrigen nicht nur von den Medien, sondern auch vom Bundestag und den Parteien.

Gleiches gilt auch für Wirtschaftsführer. Der Vorstand einer großen Aktiengesellschaft wird ebenfalls großzügig honoriert, um diese verantwortungsvolle Aufgabe unabhängig wahrnehmen zu können. Und nicht selten sind diese Damen und Herren noch in mehreren Aufsichtsräten und weiteren Vorstandsaufgaben von Tochterunternehmen tätig. Weder von den Abgeordneten noch von den Vorständen und Aufsichtsräten wird dem 1. Arbeitgeber die Leistung erbracht, für die er zahlt.

Dies sind für mich die wirklichen Skandale, die aufgedeckt und angeprangert gehören, nicht die verschiedenen Honorierungen. Ein Vorstand meines früheren Arbeitgebers hat einmal vor seinen Führungskräften gesagt: „Für sie hat jetzt der Tag 24 Stunden, und wenn die nicht reichen, nehmen sie die Nacht dazu!“ Okay, so könnte es gehen.

Reinhard Moeller-Althaus,

Berlin-Rudow

Es tut doch gut zu wissen, da draußen in der wirklichen unwirtlichen Welt von Regierung und Parlament gibt es noch richtig fleißige Leute. Neben den drei Jahren Parlamentsarbeit im Plenum mit ca. 60 Sitzungswochen, in denen Peer Steinbrück nur an sieben Tagen mit namentlicher Abstimmung gefehlt hat – Nebenbemerkung: Namentliche Abstimmung gibt es bisher 100 bis 200 mal pro Wahlperiode (seine Fehlquote also ca. zehn Prozent) –, neben der Arbeit im europäischen Ausschuss (ca. 75 Sitzungen – Fehlmeldungen sind nicht öffentlich bekannt), neben den Vorbereitungstagen für all dies, neben 250 Veranstaltungen im Wahlkreis, neben 237 unentgeltlich gehaltenen Vorträgen, neben (auszuhaltender) Lobbyarbeit, neben dem Bücherschreiben mit dem von mir hochverehrten Helmut Schmidt, neben sicherlich erfüllten privaten Pflichten und noch vielen anderen Terminen mit Partei, Fraktion, anderen Politikern, neben, neben, neben, ... wurde tatsächlich auch noch Zeit gefunden für ca. 89 Vorträge. Die meisten davon waren wohl Standardvorträge.

Ob solcher Zusatzbelastung tun mir die Politiker unabhängig welcher Parteizugehörigkeit einfach leid, auch wenn sie freiwillig geleistet wurde: „Zu einer Zeit, als (er) nicht annahm, wieder in den politischen Ring zu steigen“ – also Kanzlerkandidat zu werden. Wie denn das, ist der Deutsche Bundestag denn kein hauptamtlicher „politischer Ring“? Dann wird mir klar, woher die Freizeit kam! Auf der anderen Seite bin ich stolz und froh, dass es solche Arbeitstiere gibt, und wir eines davon als Kanzlerkandidaten haben. Der kann in Brüssel sicher noch besser und länger als die Kanzlerin in den Sitzungen aushalten.

Prof. Dr. Rolf Baß, Berlin-Tempelhof

Die Diskussion um die entgeltlichen Nebentätigkeiten von Bundestagsabgeordneten vernachlässigt den Zeitaufwand, der für diese Nebentätigkeiten zu erbringen ist. Wenn wir davon ausgehen, dass die Ausübung eines Bundestagsmandates ein Vollzeitarbeitsplatz ist, dann ist eigentlich keine Zeit mehr für eine Nebentätigkeit vorhanden, die auch ein Vollzeitarbeitsplatz ist. Zwei Vollzeitarbeitsplätze haben z. B. Bundestagsabgeordnete die gleichzeitig Minister, Staatssekretäre, Parteivorsitzende oder Generalsekretäre der Parteien sind. Diese Bundestagsabgeordneten beziehen neben ihren Einkünften als Bundestagsabgeordnete für ihre „Nebentätigkeiten“ als Minister, Staatssekretär, Parteivorsitzender oder Generalsekretär zusätzlich monatliche Bezüge der Stufe 3 nach der derzeitigen Regelung. Wie kann diese Gruppe ihren beiden Vollzeitbeschäftigungen gerecht werden? Die Parteivorsitzenden und Generalsekretäre z. B., die im nächsten Jahr durch die Vorbereitung der Bundestagswahl übermäßig in Anspruch genommen werden, wie können sie dann noch ein Bundestagsmandat verantwortungsvoll wahrnehmen?

Ich denke, hier besteht dringender Handlungsbedarf, sowohl was das Finanzielle als auch was die Doppelbelastung durch zwei Vollzeittätigkeiten betrifft.

Diese Gegebenheiten lassen sich einem Normalbürger, geschweige denn immer mehr Menschen, die einen schlechtbezahlten Zweitjob ausüben müssen, nicht mehr erklären.

Dr. Adalbert Engfer, Berlin-Lichtenrade

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