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Meinung: Der Tod kommt aus der Garage

Von Clemens Wergin

Wer kann, wer will schon gegen 40 tote Kinder argumentieren? Ob die Israelis nun wissen konnten, wen sie treffen würden, einerlei, das zählt nicht – die Hisbollah hat einen wichtigen Sieg im Kampf um die Weltöffentlichkeit gewonnen. Und damit möglicherweise den Krieg? Es lohnt, die Kampfweise der Hisbollah genauer anzusehen. Weil hier die Schlachtfelder der Zukunft aufscheinen. Und weil sich noch keine Miliz die asymmetrische Kriegsführung so systematisch zunutze gemacht hat: Die Hisbollah verbunkert sich in bewohnten Gebieten, operiert mitten aus der Bevölkerung heraus. 100 Dollar, so wird berichtet, erhalten Familien im Monat, damit sie eine Katjuscha unterm Haus oder in der Garage verstecken. Wenn der zuständige Kämpfer seinen Einsatzbefehl bekommt, fährt er hin, zieht die Rakete aus dem Versteck, richtet sie aus und schießt sie ab. Das Ganze dauert zehn bis 15 Minuten. Ein Feind, der nicht zu fassen ist, aber durch den Iran die bestgerüstete Miliz der Geschichte darstellt. Eine reguläre Armee, die unter strenger Beobachtung der Weltöffentlichkeit steht und weitgehend gewillt ist, das Kriegsvölkerrecht zu befolgen, hat dagegen kaum eine Chance.

Die weltweite Empörung angesichts der toten Zivilisten in Kana ist von der Hisbollah einkalkuliert. Die Miliz rechnet damit, dass sich der Feind Fesseln anlegen muss; Fesseln, die sie längst abgeworfen hat. Ein Schiit aus dem Südlibanon hat dieses Kalkül in einem Leserbrief beschrieben: Als die Hisbollah nach Israels Abzug in den Süden kam, baute sie Waffenlager – und darauf Schulen und Wohnhäuser. Ein Scheich sagte diesem Tagesspiegel-Leser damals, „dass die Juden in jedem Fall verlieren, entweder weil die Raketen auf sie geschossen werden oder weil sie, wenn sie die Lager angriffen, von der Weltöffentlichkeit verurteilt werden ob der dann zivilen Toten“.

Den Israelis sind viele Fehler unterlaufen, und sie haben zu oft fahrlässig gehandelt. Im Kern stellt sich ihnen aber dasselbe Problem wie der Nato im Kosovo-Krieg: Demokratische Gesellschaften halten Kriege nicht aus, bei denen viele eigene Soldaten sterben. Deshalb bevorzugen sie den Luftkrieg gegenüber Bodenoffensiven. In Luftkriegen aber sterben in aller Regel mehr Zivilisten. So ergibt sich ein paradoxes Bild. Israels Angriffe waren zu heftig, zu viele Zivilisten wurden getötet. Sie waren nicht heftig genug, weil immer noch mehr als 100 Raketen täglich gen Israel fliegen. Möglicherweise hat die Hisbollah eine Formel für ihre Unbesiegbarkeit gefunden: Man muss die eigene Bevölkerung skrupellos und systematisch als Schutzschild benutzen und einen finanzstarken Sponsor im Rücken haben. Gelingt es dann, den Kampf in die Länge zu ziehen, wird die Gegenseite irgendwann durch die Öffentlichkeit zum Waffenstillstand gezwungen. Der wird jedoch ein Waffenstillstand sein, aus dem die Hisbollah gestärkt hervorgeht. Und der anderen Terrororganisationen als Beispiel dient, wie man den asymmetrischen Krieg gewinnen kann.

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