zum Hauptinhalt

Meinung: Der verlorene Sohn sitzt wieder am Tisch

Peter Seewald hält mit „Grüß Gott“ein flammendes Plädoyer für das Christentum

Immerhin 8616 Menschen sind im vergangenen Jahr wieder in die katholische Kirche eingetreten. Das sind wenige im Vergleich zu den 113 724, die ausgetreten sind. Aber was treibt jemanden, der schon einmal in einem bewussten Akt die Gemeinschaft der Kirche verlassen hat, wiederzukommen? In eine Institution, die als vorgestrig erscheint, mit der Hypothek einer sündigen Geschichte, in eine Kirche, die sich ihres Platzes in unserer Gesellschaft immer unsicherer wird?

Der Journalist Peter Seewald war einer von denen, die im Gefolge von 1968 die Kirche ihrer Kindheit leichten Herzens verlassen haben. Voller Idealismus und Bemühen um eine bessere Welt erschien ihm die katholische Kirche nicht als Verbündeter, Gott interessierte ihn nicht mehr und: „dass Glaube als Skandal gemeint sein könnte, als eine ungeheure Provokation gegen die herrschenden Verhältnisse, wäre niemandem von uns im Traum eingefallen". Es folgt eine der üblichen linken Geschichten, in der die Romantik des Kämpfers für Gerechtigkeit und Freiheit kurz in Gefahr war, in ideologischer Blindheit sich selbst zu verraten, bevor sie dann zu einer bürgerlichen Existenz mit demokratischer Gesinnung wird. Und irgendwann begann Seewald, wieder an Gott zu denken. Wie das alles genau anfing, weiß er auch nicht mehr, aber er spürt diesem Weg nach. Er erzählt uns in seinem Buch „Grüß Gott“ die Geschichte einer „Häutung“, durch die er den Glauben für sich noch einmal ganz neu entdeckte.

Das ist keine gradlinige Geschichte und so erzählt Seewald auch nicht von einer dramatischen Bekehrung. Sondern er hat sich vorgetastet, hatte Fragen und Zweifel, an sich und an diesen erstaunlichen Gott und seine Verheißung. Wunderte sich über das Paradox des Katholizismus, der gleichzeitig streng und frei ist.

Auf dieser Reise entdeckt er, dass der Glauben Trost gibt, Ruhe und Gelassenheit, und dass er zugleich viel verlangt von den Gläubigen. Da kommt er am Ende doch wieder an seine Wurzeln: „Glaube ist kein Abtauchen ins Private. Er hat etwas mit Kultur zu tun, mit Verantwortung fürs Ganze.“ Richtig zornig macht ihn, dass er selber zeitweilig bereit war – und unsere Gesellschaft immer noch bereit ist –, sich dieser schweren und zugleich befreienden Verpflichtung der Anerkennung der christlichen Werte zu entziehen.

Wer soll, wer will davon lesen? Die 8616 Menschen, die offenbar im vergangenen Jahr ähnlich empfunden haben wie Seewald? Sie werden viel darin finden, das sie in ihrem Entschluss bestärkt. Aber mehr noch ist es ein Buch für diejenigen, die schon lange an ihrem Glauben zweifeln. Die überrascht feststellen werden, dass man vom Glauben ohne Pathos und ohne Kitsch, aber doch ergreifend sprechen kann. Die sich reiben werden an seinen Wutausbrüchen über uns alle, die wir die Gebote des Christentums nicht mehr als alltagstauglich empfinden. Die vielleicht ein wenig sehnsüchtig werden nach so viel Einklang mit sich und dem Glauben, aber doch auch besser begreifen können, wie einer diesen Weg gehen konnte.

Seewald beschreibt das Unverständnis, das einem wie ihm entgegenschlägt, wenn er sich wider den Zeitgeist nicht nur mit dem katholischen Glauben beschäftigt, sondern sogar davon spricht. Wo täglich über das Persönlichste und Intimste öffentlich schwadroniert wird, da erscheint es als die letzte Obszönität, sich zum Glauben zu bekennen. Zornig macht Seewald diese Abwehr, so dass er fragt: „Provoziert die Religion also genau deshalb, weil nicht sie, sondern der Zeitgeist angepasst und spießig geworden ist?“

Seewalds Buch ist nicht nur der Bericht über eine persönliche Erfahrung von Spiritualität, sondern auch eine Herausforderung an diejenigen, die vermutlich sein Buch nicht lesen werden. Die von Ethik sprechen, sie aber so lange hin und her wenden, bis gar kein Halt und keine Richtung mehr erkennbar ist. Die glauben, eine moderne Gesellschaft könne sich endlich der lästigen vorsintflutlichen Regeln des Christentums entledigen und dann erschrocken feststellen, dass es an Zusammenhalt und Selbstbeschränkung mangelt.

Gerade wer bezweifelt, dass die christlichen Werte für unsere Gesellschaft von morgen noch hilfreich und aktuell sind, sollte sich einmal auf diese Herausforderung einlassen und das Buch lesen. So überzeugend hat schon lange keiner mehr für das Christentum gestritten.

Andrea Fischer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false