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Der Weg zum Abitur: Schneller lernen, leiden lernen

Natürlich kann man ein Abitur nach zwölf Jahren machen, die ostdeutschen Länder machen es vor. Die Umstellungsphase in Berlin zeigt aber in einem Massenversuch unter Echtzeitbedingungen, was wir Kindern im Namen einer effektiveren Anpassung an die Leistungsgesellschaft zumuten.

Was tun wir bloß unseren Kindern an? Das müssen sich Eltern in Berlin fragen, deren Kinder bestmöglich ins Leben starten sollen – nicht nur mit einem Abitur, sondern auch mit Spaß an ihrer Schulzeit. Das wird schwierig. Nicht nur, weil Schulleiter um die Anerkennung des Abiturs bangen. Dies lässt sich beheben, wenn die träge Schulverwaltung die Forderung der Kultusministerkonferenz an die Stundentafel erfüllt. Entsetzt aber werden die Eltern über die Konsequenzen einer Anpassung sein. Und ihre Kinder erst recht.

Bereits jetzt werden Berlins Gymnasiasten durch die Umstellung auf ein Abitur nach zwölf Jahren mit einem mehr als strammen Wochenstundenpaket belastet. Unter dem Stress leiden viele Kinder; alle Eltern kennen die Momente der Verzweiflung und die Ängste ihrer Kinder, überfordert zu werden. Und nun sollen es noch mehr Stunden werden. Es sieht so aus, als werde es auf den Gymnasien dann nur noch um Verdichtung und kaum mehr um Charakterbildung gehen. Die Ausrichtung des Schulsystems auf einen früheren Bildungsabschluss, damit das Studium und auch das Berufsleben früher beginnt, wird mit einem Verlust an Kindheit bezahlt. Und zwar nicht nur in den Familien, die ihren Kindern mit überzogenen Leistungsansprüchen die Luft und die Lust am Lernen nehmen.

Schneller lernen darf nicht leiden lernen bedeuten. Natürlich kann man ein Abitur nach zwölf Jahren machen, die ostdeutschen Länder machen es vor. Die Umstellungsphase in Berlin zeigt aber in einem Massenversuch unter Echtzeitbedingungen, was wir Kindern im Namen einer effektiveren Anpassung an die Leistungsgesellschaft zumuten. In zwei Jahren wird der erste Jahrgang der Turbo-Abiturienten den Abschluss machen, zusammen mit dem letzten Jahrgang, der in 13 Jahren die Reifeprüfung ablegt. Das hat in Gymnasien bereits zu einer verschärften Konkurrenz geführt, weil 2012 ein doppelter Abiturjahrgang auf die darauf nicht vorbereiteten Universitäten drängt – und nur jenen mit besten Noten einen sicheren Studienplatz in Berlin sichert. Das von vielen Eltern und Kindern gewünschte Auslandsjahr ist ohne Klassenwiederholung nun nicht mehr möglich, weil die 11. Klasse entfällt. Noch enger wird es, weil außerdem in der 10. Klasse der mittlere Schulabschluss absolviert werden muss.

Jahrelang wurden in Berlin zu Recht die maroden Schulen mit baufälligen Fassaden, ekligen Toiletten und veralteter Lehr-Technik beklagt. Da wurde vieles verbessert. Die Gymnasien sind auf gutem Weg zu Ganztagsschulen, mit Mensen, Bio-Essen und zusätzlichen sozialen Angeboten. Dafür werden die Schüler zur Schwachstelle des Systems – und die Lehrer bekommen den Frust und die Aggressionen der überforderten Schüler zu spüren. Zusätzlich wächst mit noch mehr Wochenstunden auch der Schularbeitenberg. Eltern wägen nun ab, ob sie ihren Kindern noch erlauben dürfen, Tennis zu spielen oder sich in der Kirchengemeinde zu engagieren.

Diese Zurichtung der Kinder zu mildern, ist eine Aufgabe der Bildungsverwaltung. Man kann etwa zweifeln, ob die Forderung der Kultusministerkonferenz, die sich am 13-jährigen Abitur orientiert, wirklich nötig ist. Schüler werden dadurch in Berlin gezwungen, nun zusätzliche Kurse zu belegen, die sie gar nicht ins Abitur einbringen müssen, nur um die Pflichtstundenzahl zu erreichen. Nicht, dass man nicht nach Neigung zusätzliche Fächer belegen soll, aber viele Kinder können sich schon jetzt fragen, warum ihr Vater früher zu Hause ist als sie.

Eltern wollen das Beste für ihr Kind – und dazu gehört nicht nur Leistungstrimm, sondern auch der Anspruch auf Kindheit. Bildungssenator Jürgen Zöllner kann es sich leicht machen und auf die Alternative verweisen. In den künftigen Sekundarschulen kann ebenfalls das Abitur abgelegt werden – in langsamen 13 Jahren. Das mag Sekundarschulen für Eltern attraktiver machen. Den Kindern, die jetzt auf den Gymnasien den Stress der Systemumstellung ertragen müssen, hilft das wenig. Ihren Eltern auch nicht.

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