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Meinung: Der Zeigefinger

Als sei nicht schon genug Häme, Wut, gerechtfertigte Kritik auf Günter Grass herabgeprasselt! Die Archive sind aber wohl noch lange nicht erschöpft.

Als sei nicht schon genug Häme, Wut, gerechtfertigte Kritik auf Günter Grass herabgeprasselt! Die Archive sind aber wohl noch lange nicht erschöpft. Ende der sechziger Jahre, als unser späterer Nobelpreisträger noch der unbestrittene literaturdemokratische Kämpfer war, schrieb GG dem früheren Wirtschaftsminister Karl Schiller von der SPD giftige Briefe. Schiller solle endlich seine NS-Verstrickung offenlegen. Das hätte etwas Reinigendes. Ihm, Grass, sei die Materie nicht unvertraut. Welcher wahre Sprengstoff, welche Schamlosigkeit in diesem Schriftstück steckte, wissen wir erst seit kurzem. Nicht nur die Zwiebel hat viele Schichten, die Bundesrepublik ist voll mit solchem und anderem Vergangenheitsgemüse. Sicher sehen wir die Grass-Moral nach dem Waffen-SS-Geständnis heute mit anderen Augen, und sicher, wir wissen auch, dass sein Einsatz damals keineswegs falsch sein musste. Wenn Grass gegen den Vietnamkrieg polemisierte und sich für mehr Demokratie stark machte, wird das nachträglich nicht zur Lüge. Nur, die nach Jahrzehnten aufgetauchten Brandbriefe an Schiller sind zu verlockend, als dass man sie übersehen könnte. Weil der Absender sich aus heutiger Sicht als bigott entlarvt. Er mahnte einen anderen an – und hätte zuerst auf sich selbst zeigen können und müssen. Was lesen wir als Nächstes? R. S.

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