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Deutsche und Briten: Wenn aus Freunden Fremde werden

Im Verhältnis von Deutschen und Briten steht es wie bei einem Ehepaar vor der Scheidung: Man redet aneinander vorbei und jeder beharrt auf seiner Position. Das ist gefährlich.

Schon Konrad Adenauer hatte Probleme mit den Briten. Er misstraute ihrer Haltung zu Europa und weil er sich mit Singsang auskannte, nannte er sie „unsichere Kantonisten“. Keine enge Beziehung war ihm lieber als eine, die später scheitert.

Seitdem ist viel passiert. Der Austausch der Kulturen erlebt immer neue Höhepunkte. Nichts deutet auf einen Clinch hin: Briten kaufen sich Wohnungen in Berlin. Und dass Deutsche in Großbritannien einen sehr guten Ruf genießen, ist auch keine Neuigkeit. Viele Vorurteile haben sich derart abgenutzt, dass die „Sun“ bereits 2006 die „Ära der Nazivergleiche“ für beendet erklärte.

Und doch kommt wieder schlechte Stimmung auf – spürbar auf Konferenzen, in Interviews und privaten Gesprächen. Es scheint, als gerate das Verhältnis aus Freundschaft und Wettbewerb aus der Balance. Wie sehr diese Balance bedroht ist, zeigt sich, wenn ein deutscher Minister auf einer Dinnerparty sinngemäß betont, dass die Briten sich daran gewöhnen sollten, dass sie in Europa nichts zu sagen haben. Auf einen Schlag wirken Adenauers Ressentiments wieder ganz aktuell.

Zu einem gewissen Grad können sprachliche Probleme als Ausreden herhalten, denn leider spiegelt sich der Rang, den Deutschland mittlerweile einnimmt, nicht immer im englischen Ausdrucksvermögen seiner höchsten Vertreter – und damit sind nicht nur Politiker gemeint. Durchschnittliches „Denglish“ ist oft vage und zugleich plump, geprägt von Statements wie „The Euro is safe.“ Engländern signalisiert das wenig Interesse an wahrer Diskussion.

Andererseits produzieren Briten mit ihrer „Debating Culture“ fabelhafte Pointen – doch sie bringen nicht automatisch die besseren Konzepte hervor, sondern lassen eher ein unangenehmes Gefühl sprachlicher Überlegenheit entstehen. Paul Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“ besitzt deshalb im Deutsch-Britischen Verhältnis große Gültigkeit: Ohne ebenbürtige Kommunikation und wahre Debattenkultur, die nicht dasselbe Ziel, aber dieselben Prinzipien voraussetzt, ist in einer Beziehung Scheidung vorprogrammiert. Und wenn die Beziehung fast 40 Jahre alt ist, dann wird die Scheidung teuer. „Wir bewegen uns nicht auseinander, wir marschieren auseinander“, bemerkte vor zwei Wochen ein hochrangiger britischer Diplomat während einer bilateralen Konferenz zur Lage Europas – ohne freilich „marschieren“ als direkte Anspielung auf alte Konflikte zu verstehen.

Genau genommen ist es auch kein alter, sondern ein neuer Konflikt, der beide Seiten antreibt: Die Angst zu weit gegangen zu sein. Die Briten fürchten, dass sich Staat und Bürger unverantwortlich hoch verschuldet haben. Und die Deutschen fürchten, dass Staat und Bürger im europäischen Einigungsprozess für Bürgschaften in unverantwortlicher Höhe aufkommen müssen.

Weil Angst bekanntlich zu irrationalen Reaktionen verleitet, ist der neue Konflikt von Briten und Deutschen gefährlich: Denn es besteht die Gefahr, dass sie sich beide in ihre Prinzipien hineinsteigern und gegenseitig hochschaukeln. Während Briten die Freiheit beanspruchen, die EU notfalls verlassen und Europa opfern zu dürfen, um ihre Probleme zu lösen, postulieren die Deutschen die Pflicht, genau das nicht zuzulassen, was die Briten Freiheit nennen. Während Briten ihre nationale Souveränität über Europa stellen wollen, repetieren die Deutschen, dass es wichtig sei, die nationale Souveränität auf die europäische Ebene zu übertragen.

Was die Beziehungen besonders vertrackt macht, ist das Erbe Winston Churchills, dem wir alle die Freiheit verdanken – und die Deutschen noch ein Denkmal schulden. Er forderte die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ und machte deutlich, dass Großbritannien daran zwar Anteil nehme, nicht aber teilnehme. Das war der Anfang des seit 1973 offen postulierten Prinzips des „British exceptionalism“, das die Deutschen nie wirklich bereit waren zu akzeptieren. Gemäß Churchill wäre ein Austritt der Briten aus der EU einerseits konsequent. Eine wie auch immer geartete Schädigung Europas durch diesen Austritt wäre zugleich inakzeptabel.

Wenn führende britische Diplomaten jetzt die Vision Churchills für gültig erklären und zugleich betonen, dass es wichtig sei, auf beiden Seiten „silent damages“ zu vermeiden, heißt das auch: Wir sind wieder in Zwickmühle.

Obwohl bei historischen Vergleichen Vorsicht geboten ist, fragen viele Menschen heute, ob wir in einer ähnlichen Situation sind wie vor hundert Jahren. In einem sind wir es: Briten und Deutsche können sich die Konsequenzen ihres Auseinanderdriftens nicht vorstellen – und lassen es darauf ankommen.

Der Autor ist Vorsitzender der 1911 gegründeten King Edward VII. British-German Foundation. Mit dem Programm KE7 fördert die Stiftung den Austausch zwischen Deutschen und Briten und untersucht gegenwärtig unterschiedliche Auffassungen zu Europa. Das Buch „Common Destiny vs. Marriage of Convenience – what do Britons and Germans want from Europe?“ erscheint im Frühjahr 2013.

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