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Meinung: Deutscher Ohnmachtswahn

Die Bundesregierung behandelt große Probleme entschlossen mit Kleinmut

Die Agenda 2010 soll nun also die Lösung sein. Nur, was war noch gleich das Problem? Arbeitslosigkeit, Wachstumsschwäche, Kaufzurückhaltung, Kosten der Sozialkassen? Nein, das sind nur die Symptome, das eigentliche Problem besteht im Kopf, in Millionen Köpfen. Da wo entschieden wird, nicht zu kaufen, kein Unternehmen zu gründen, sich nicht reinzuhängen für die Firma, nicht zu glauben, dass alles möglich ist auf dieser Welt.

Es mangelt also in Deutschland – mehr als in jeder anderen Industrienation außer dem vergreisenden, an der eigenen Monokultur erstickenden Japan – an Zuversicht und Freiheitslust. Daran kann die Politik allein mit ihren Maßnahmen, auch mit der Agenda 2010, wenig ändern. Denn dabei hilft ihr keine Makroökonomie, sondern nur Makropsychologie. Sie müsste also selber ausstrahlen, was sie beim Bürger auslösen möchte: Zuversicht, Mut, Optimismus.

Tut die Regierung das? Hat man beim Anblick von Gerhard Schröder und Joschka Fischer, von Edelgard Bulmahn und Ulla Schmidt, von Olaf Scholz und Franz Müntefering zurzeit das Gefühl, dass alles möglich ist auf dieser Welt? Aus einem verzagten Kabinett kommt keine fröhliche Reform.

Bevor wir uns hier den scheinbaren reformpolitischen Mutproben im Inneren zuwenden, werfen wir einen Blick auf die deutsche Außenpolitik. Die Bundesregierung betreibt seit dem Fall der Saddam-Statue, seit dem symbolischen Ende des Krieges also, weder eine falsche, noch eine richtige Außenpolitik, sondern eher keine. Ein Gipfelchen hier, ein Generalstäbchen da, heute den Tony anrufen, morgen dem Wladimir eine Mail schicken, auf die Abwahl von George in 18 Monaten warten, einen Finger reinkriegen in die irakische Pastete und dabei immer schön an Paris denken. Ist das genug für die zweitwichtigste Wirtschaftsnation der westlichen Hemisphäre? Und das alles nach diesem Big Bang der internationalen Politik, angesichts der Paralyse der Nato, nach dem transatlantischen Zerwürfnis. Und das, während im Mittleren Osten auf einmal die Chancen explodieren.

Unsere Regierung kommt seit Wochen über den Widerspruch nicht hinweg, dass im Irak ein überwiegend falscher Krieg überwiegend positive Folgen hatte. Sie duckt sich außenpolitisch weg, verschließt sich offenbar den Möglichkeiten der tief greifenden Umgestaltung einer ganzen Region. Stell dir vor, eine neue Weltordnung wird geschaffen, und Berlin guckt nicht mal richtig hin. Wenn man böse wäre, würde man sagen, der Kanzler sei international das, was die Gewerkschaftsführer national sind, ein ängstlicher Besitzstandswahrer. Gerhard Schröder als Frank Bsirske der Weltpolitik? Zumindest steht die Bundesregierung international dafür, dass sich Politik allenfalls millimeterweise fortbewegen kann und darf.

Natürlich leiden die Amerikaner im Moment an einem gewissen Machbarkeitswahn. Die Deutschen allerdings an einem Ohnmachtswahn. Das strahlt auf die Innenpolitik aus. Der Kanzler wirft sich zwar mächtig in Pose für seine Agenda 2010, doch wer genauer hinhört, entdeckt einen merkwürdigen Widerspruch in seiner Argumentation: Er spricht von der Agenda wie von einem großen Wurf, einer starken Antwort auf unsere immensen Probleme. Gleichzeitig jedoch redet er die Maßnahmen klein. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre betreffe doch erst diejenigen, die ab 1969 geboren sind. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe würde für viele Menschen ohne Job sogar noch finanzielle Verbesserungen bringen. Und der goldene Handschlag, der bleibe ja ohnehin erhalten, wenn erst mal die fünf Kleinarbeitsgruppen der SPD getagt und getagt und getagt haben. So viel Geschrei um so wenig. Schröder redet mit den Bürgern wie mit den hypochondrischen Bewohnern eines Altenheims. Deutschland AG? Deutschland e.V.? Deutschland Stift!

Jedoch ist auch bei den innenpolitischen Reformen wie schon beim Irak-Krieg nicht ganz auszuschließen, dass dem Kanzler aus einer Taktik eine Strategie erwächst, aus einer Argumentationschwäche ein Überzeugungserfolg. Wenn er Recht hat, und die Bürger zurzeit tatsächlich in altenheimeliger Verfassung sind, dann könnte sich sein Widerspruch als Doppelstrategie erweisen. Schröder setzt mit großem revolutionären Gestus bloß die allernötigsten Reformen durch. Die Kritiker kann er dabei stets auf die relativ harmlosen Details der Agenda 2010 verweisen – und die Partei derweil auf Größeres und Radikaleres vorbereiten. Schröder möchte den Sonderparteitag zu einem Durchbruch machen, wie es für die Grünen einst der Kosovo-Parteitag war. Eine grundlegende, spektakuläre, auch eine spektakelhafte Wende – nach der dann alles Weitere leichter geht. Eine merkwürdige Methode, die halbbitteren Reformen nicht zu versüßen, sondern noch zu verbittern. Damit bliebe der Kanzler zumindest auf dem Gebiet der Kommunikation innovativ.

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