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Meinung: Deutschland von außen: Keine Realpolitik, bitte!

Deutsche Außenpolitik zu betreiben, ist nicht einfach. Eingebunden in die EU, eingefasst in das westliche Bündnis, eingestimmt auf amerikanische Führung und eingehegt durch die zunehmende Demokratisierung, ist der Bewegungsraum jeder deutschen Regierung sehr beengt.

Deutsche Außenpolitik zu betreiben, ist nicht einfach. Eingebunden in die EU, eingefasst in das westliche Bündnis, eingestimmt auf amerikanische Führung und eingehegt durch die zunehmende Demokratisierung, ist der Bewegungsraum jeder deutschen Regierung sehr beengt. Zusätzlich hängt ihr die deutsche Vergangenheit immer noch an. Wie jeder Konvertit will auch Berlin, gerade unter der rot-grünen Regierung, frommer sein als die Nachbarn. Nicht umsonst hat Außenminister Fischer seine Politik unter das Panier von Verlässlichkeit und Kontinuität gestellt.

Aber was heißt Kontinuität? Es kann ja nicht gemeint sein, die Außenpolitik der Weimarer Republik fortzuführen mit ihrem Revanchismus oder gar das kaiserliche Expansionsstreben. Bundesrepublikanische Außenpolitik beginnt 1949 mit einem Bruch aller Kontinuität. Nicht die Staatsräson oder das Nationalinteresse sollten sie anleiten, sondern die Forderungen der Bürger nach Frieden, Freiheit und Wohlstand.

Verlässlichkeit kann also nicht nur heißen, diesem außenpolitischen Impetus unbeirrt zu folgen. Er muss auch eingebracht werden in die Staatengemeinschaft, damit ihr die bitteren Erfahrungen Deutschlands erspart bleiben. Natürlich ist die Bundesrepublik kein Lehrmeister Europas, aber sie muss doch für das Ziel des Friedens und die Demokratisierung als beste Strategie werben.

Die Bundesregierung muss sich an dem in ihrem Koalitionspapier niedergelegten Anspruch messen lassen, Frieden und Menschenrechte voranzubringen. Wie reimen sich darauf Waffenlieferungen an die Türkei, wie die zunehmenden Rüstungsexporte, die Berlin inzwischen zum größten Waffenexporteur Europas gemacht haben? Die Entwicklungshilfe, ein Menschenrechts-Instrument par excellence, wird im Jahr 2003 mit einem Anteil von nur noch 0,2 Prozent des BSP einen neuen Tiefstand erreichen.

Freilich hat die Bundesregierung vieles gut gemacht. Sie musste am Serbienkrieg der Nato teilnehmen (hätte allerdings die Sprache einiger Minister regeln sollen). Aber sie hat diese Intervention wieder in den ordnungspolitischen Rahmen der Vereinten Nationen zurückverfrachtet und das schon distanzierte Russland in den europäischen Entscheidungsprozess wiedereingegliedert. Zusammen mit ihren westeuropäischen Partnern wird sie dafür sorgen, dass das in der UN-Charta enthaltene Gewaltverbot künftig eingehalten wird. Zusammen mit der EU und den USA hat die Regierung im Frühjahr 2000 die serbische Opposition massiv unterstützt und ihr damit zum Wahlsieg über den Diktator Milosevic verholfen. 1996 war solche Unterstützung ausgeblieben. Andererseits hat die Anwesenheit der Nato im Kosovo den Menschenrechten, jedenfalls denen der Serben, bisher wenig geholfen.

Der Stabilitätspakt für den südlichen Balkan könnte ein Ruhmesblatt der deutschen Außenpolitik sein. Er enthält Vorbeugungspolitik pur. Was sie vermag, hat Max van der Stoel, der noch bis zum Juli OSZE-Minderheitenkommissar ist, bewiesen. Er hat die Minderheitenrechte in Lettland, Ungarn und auf der Krim durchgesetzt und Europa damit drei Kriege erspart. Gekostet hat diese Leistung nicht einmal den Gegenwert von zwei Cruise Missiles. Das sollte den Steuerzahler interessieren, der die Folgen des Serbienkrieges noch lange zu finanzieren hat.

Die Politik der Vorbeugung kann nicht isoliert betrieben werden. Sie setzt eine andere außenpolitische Kultur voraus, die in Konkurrenz zur traditionellen Realpolitik etabliert werden muss. Das ist nicht leicht. Der Beschluss der EU, sich eine eigene Interventionsstreitmacht zuzulegen, erfreut sich ganz anderer Mengen an Aufmerksamkeit und Geld als der arme Stabilitätspakt. Obwohl gerade er den Balkan vor weiteren Kriegen bewahren könnte, müsste erst seine Organisation gestrafft und vor allem seine Finanzierung aufgestockt werden. Mit 1,6 Milliarden Euro pro Jahr - mehr wendet die EU nicht auf - kann die Vorbeugungsstrategie keine großen Sprünge machen.

Deutschland hat sich immer schon und letzthin auf dem Jubiläumsgipfel 1999 in Istanbul für die Stärkung der OSZE eingesetzt; Berlin sollte auch dafür sorgen, dass die Osterweiterung der EU die Idealkonkurrenz mit der Nato gewinnt. Deren Expansion stärkt nur die Verteidigung weniger, jene schafft Sicherheit für alle. Warum rührt ausgerechnet der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion die Trommel der Nato? Das Bündnis ist wichtig, aber doch nicht dazu geeignet, die Europäische Friedensordnung zu gestalten.

Demokratisierung muss nicht nur im Osten verbreitet, sie muss auch im Westen gepflegt werden. Deutsche Initiativen sind, wie die Konferenz von Nizza gezeigt hat, wahrlich nicht überflüssig. Aber auch Berlin scheint die ungestörte intergouvernementale Zusammenarbeit attraktiver zu finden als die parlamentarische Kontrolle, die den Nationalstaaten im Zuge der Integration verloren ging, auf das Europäische Parlament zu transferieren. Auf diese Weise wird das Ziel der Demokratisierung verfehlt. Und denkt eigentlich jemand darüber nach, wie auch die Nato einer demokratischen Kontrolle zugeführt werden könnte? Eine Allianz demokratischer Staaten ist deswegen allein noch keine demokratische Allianz. Der Serbienkrieg hat es zur Genüge gezeigt.

Das Wünschenswerte ist nicht immer sofort machbar. "Realpolitik" stiehlt sich aus dem Dilemma, indem sie das Machbare als wünschenswert ausgibt. Gute Politik aber, auch das weiß jeder, ist die Kunst des Möglichen. Sie erreicht das Wünschenswerte.

Ernst-Otto Czempiel

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