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Angela Merkel in Paris.

© dpa

Deutschlands Außenpolitik: Keine Interessen mehr

Deutschland braucht eine andere Außenpolitik. So sollten wir im Umgang mit Russland endlich zur bismarckschen Gelassenheit zurückfinden

Es war auf einer wissenschaftlichen Konferenz in Sankt Petersburg zu später und schon etwas angeheiterter Stunde. Ein russischer Professor fragte die deutschen Kollegen - Historiker und politische Wissenschaftler - nach genuin deutschen Interessen und bekam die ihn verblüffende Antwort: Solche gebe es nicht, es gebe nur europäische Interessen. Das dröhnende Lachen der russischen Gastgeber bestätigte das inzwischen geflügelte Wort: Wer sich als Europäer bekennt, hat sich schon als Deutscher enttarnt und zugleich Margaret Thatchers böses Diktum: „Letztlich wollen die Deutschen, weil sie zu ängstlich sind sich selbst zu regieren, ein europäisches System errichten, in dem keine Nation sich mehr selbst regiert.“

Nun könnte man das ja als Frucht der Erkenntnis aus zwei mörderischen Kriegen akzeptieren, wenn alle so dächten, Franzosen, Engländer, Holländer oder Polen. Doch dem ist mitnichten so. Die einen halten unverdrossen an den Symbolen des ehemaligen Weltmachtstatus fest, die kleineren an ihrer historischen Unabhängigkeit und die neu hinzugekommenen Osteuropäer wollen erst einmal jene Souveränität genießen, die zuerst Hitler und dann Stalin ihnen jahrzehntelang vorenthalten haben. Das heißt aber auch, dass die Deutschen wieder einmal allein sind mit ihrer Manie nationale Interessen-Politik als etwas Überholtes, Reaktionäres und Dummes zu betrachten. Es ist wie mit der Atomenergie. Während die anderen sie ausbauen, schaffen wir sie ab und bekommen dafür weder von Frankreich noch von Polen irgendwelche Danksagungen.

Es ist schon vertrackt mit der deutschen Außenpolitik. Sie bemüht sich nach allen Seiten lieb und nett zu sein und erntet dafür die bange Frage: Was haben die Deutschen denn nun wieder vor? Dabei haben die Deutschen gar nichts vor, weil sie gar nicht mehr wissen, was ihre Interessen sind oder sein könnten. Ja natürlich die Nato, damit die Amerikaner uns beschützen. Allerdings sind wir - meistens zu Recht - sehr zögerlich, den Amerikanern mit Waffengewalt beizustehen, wenn sie ihre Interessen auch als die unseren ausgeben. Den Irak haben wir gemieden, in Afghanistan versuchen wir gerade, den Untiefen einer erfolglosen Politik zu entkommen, und in Libyen haben wir noch nicht einmal unsere Verbündeten mit Worten unterstützt. Dabei hätte eine Interessenanalyse eher geboten, in Libyen dabei zu sein als im afghanischen Sumpf. Unsere Interessen, so könnte man ein wenig überspitzt formulieren, sind die Menschenrechte der anderen, und man bekommt in Deutschland noch am ehesten Zustimmung zu einem Militäreinsatz, wenn man afghanische Mädchen dadurch in die Schule schicken kann. Aber ein Bundespräsident, der die Sicherung unserer See- und Handelsrouten zur Aufgabe der Bundeswehr erklärt, wird politisch behandelt, als ob er etwas Unsittliches gefordert hätte. Natürlich, denn das wären ja Interessen, und die haben wir nicht mehr (siehe oben).

Das Land macht keine Außenpolitik, sondern meist eine schlechte Figur und wir sind schon glücklich, wenn der glorreiche Joschka Fischer zwischen Palästinensern und Israelis einen Waffenstillstand von zwei Tagen aushandeln kann. Wir sind schließlich bescheiden geworden. Statt irgendeine sinnvolle Interessenpolitik machen wir Menschenrechtspolitik. Und wehe, die Kanzlerin vergisst Putin oder die Chinesen daran zu erinnern, dass gute Geschäfte von Zeit zu Zeit eine menschenrechtliche Symbolhandlung nötig machen. Mal geht es um einen Künstler, mal um einen inhaftierten Oligarchen, in jedem Fall aber um eine große Heuchelei, da die Geschäfte nie unterbrochen werden und das ernste Gesicht von Merkel nur für den deutschen Hausgebrauch bestimmt ist.

Überhaupt das Verhältnis zu Russland: Obwohl Blockspaltung und Kalter Krieg der Vergangenheit angehören, knüpfen wir immer wieder dort an, statt in die Geschichtsbücher des Jahres 1913 zu schauen. Denn Putin ist kein neuer Stalin, allenfalls ein etwas tatkräftigerer Nikolaus II. Russland ist anders, es ist Reich statt Staat, ein Vielvölkergemisch geprägt von Russen und Weißrussen. Und während die Deutschen manchmal so geschichtsvergessen erscheinen, dass ihnen auch die Wegnahme von Aachen und Köln nichts ausmachen würde, ist Kiew für keinen Russen eine fremde Stadt. Hier schmerzt eine Wunde, in die man im Westen Salz streut, wenn man lautstark auf die ewige Unabhängigkeit der Ukraine pocht. Schließlich hätte man die Annäherung der westlichen Ukraine an die EU auch anders betreiben können, im Dreieck zwischen Moskau, Kiew und Brüssel. Dass Russland inzwischen skeptisch ist, wenn Europäer und Amerikaner etwas wollen, hat auch mit der unmittelbaren Vergangenheit zu tun. Schließlich gab es westliche Zusagen, die Nato an der Oder enden zu lassen statt an der russischen Grenze. Die Deutschen, aber auch die übrigen Europäer, vielleicht mit Ausnahme von Polen und Balten, können kein Interesse an einer weiteren Schwächung Russlands haben. Nicht nur aus historischen Gründen einer fast ununterbrochenen deutsch-russischen Partnerschaft von 1763 über 1806/07, 1813, 1866/70, den Rapallo-Vertrag bis zur Wiedervereinigung 1990/91, sondern auch, weil Russland den sibirischen Raum gegen politischen Zerfall und unerwünschte Landnahme sichert. Unruhe haben wir in der Welt genug. Dass Eurasien relativ stabil ist, verdanken wir auch den Russen.

Der Autor ist Publizist und lebt in Potsdam. Von 1992 bis 2005 war er Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen". Er ist stellvertretender Parteivorsitzende der "Alternative für Deutschland" (AfD).
Der Autor ist Publizist und lebt in Potsdam. Von 1992 bis 2005 war er Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen". Er ist stellvertretender Parteivorsitzende der "Alternative für Deutschland" (AfD).

© Thilo Rückeis

Als Bismarck während seiner Zeit als Botschafter Preußens in Petersburg einmal gefragt wurde, ob er für immer in Russland leben möchte, antwortete er sinngemäß: Natürlich nicht, aber man kann trotzdem mit einem Staat befreundet sein, dessen innere Ordnung den eigenen Vorstellungen nicht ganz entspricht. Auch im Umgang mit Russland sollten wir zu dieser bismarckschen Gelassenheit zurückfinden. Deutschland, so könnte man diese Überlegungen zusammenfassen, ist längst wieder dort angekommen, wo es 1914 aufgehört hat. Zwar geht es nicht mehr um Krieg und Frieden wie Wolfgang Schäuble und die Kanzlerin insinuieren, aber doch um die sinnvolle Einbindung jener halbhegemonialen deutschen Macht, die für eine Herrschaft über Europa zu schwach, aber für eine Politik à la Holland oder Polen zu stark ist. Viele Deutsche wollten nach 1945 aus der Geschichte austreten und in Europa verschwinden. Doch das kann man nicht und die anderen wollen es auch nicht. So bleibt nur das, was uns am schwersten fällt: deutsche Interessen zu formulieren und sie durchzusetzen und zwar auch dann, wenn die davon negativ Betroffenen mit allerhand unpassenden historischen Reminiszenzen aufwarten.

Der Autor ist Publizist und lebt in Potsdam. Von 1992 bis 2005 war er Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen Zeitung". Er ist stellvertretender Sprecher der "Alternative für Deutschland" (AfD).

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