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Meinung: Die Abwärtsspirale

Die Finanzlöcher wachsen ständig – hektisches Stopfen macht alles noch schlimmer

Die Summen sind gewaltig. Kommende Woche werden Finanzexperten ausrechnen, mit wie viel Steuereinnahmen der deutsche Staat in der nahen Zukunft rechnen kann. Frohe Botschaften werden sie hernach nicht verkünden: 30 Milliarden Euro weniger als noch im Mai angenommen dürfte der Fiskus in diesem und im nächsten Jahr von Bürgern und Unternehmen bekommen. Mit diesem Geld könnte sich jeder Bürger Hamburgs einen komfortabel ausgestatteten VW Golf kaufen. Oder jeder Bewohner Nordrhein-Westfalens einen handelsüblichen PC. Oder jeder zweite Deutsche eine Marken-Waschmaschine.

Die Finanzminister und Stadtkämmerer müssen dieses Etatloch nun mit Nachtragshaushalten stopfen. Doch konzeptionsfreies, hektisches Hantieren mit Ausgabenkürzungen auf der einen Seite und Steuererhöhungen auf der anderen werden das Wirtschaftswachstum nur noch mehr schwächen und noch mehr Verdruss und Verunsicherung bei den Bürgern schüren. Vor allem der Bund muss angesichts der Krise neu definieren, wofür der Staat das Geld ausgeben soll, welche Lasten die Allgemeinheit zu schultern hat und welche Privaten überlassen bleiben können. Das ist nicht neoliberal, nur pragmatisch. Denn ohne ein solches Konzept wird es nicht gelingen, die Steuer- und Sozialsysteme krisenfest zu machen.

Dass in den Planungen überhaupt ein solcher Batzen Geld fehlt, liegt nur zum Teil an der Konjunktur. Zwar ist kein Finanzminister gefeit gegen eine weltweit schwächelnde Wirtschaft, die Unternehmensgewinne schmälert, die Arbeitslosigkeit erhöht, die Kauflust drückt und so Körperschaft-, Einkommen- und Mehrwertsteuer verringert. Doch Hans Eichel muss sich auch vorwerfen lassen, die Lage zu lange zu schön gerechnet zu haben. Dass die Krise länger anhalten würde als von der Regierung prognostiziert, war im Sommer abzusehen. Rot-Grün hat trotzdem erst im Herbst die Annahme nach unten korrigiert – nach der Wahl. Zudem hat die Koalition bei der Steuerreform 2000 handwerkliche Fehler gemacht. Weil Konzerne jetzt weniger Gewinnsteuern zahlen als früher, ist es nun für sie günstig, bislang einbehaltene Erträge an ihre Aktionäre auszuschütten. Folge: Der Staat muss den Unternehmen die vormals höher angesetzte Körperschaftsteuer zurückerstatten.

Der Plan der Regierung, dieses Einnahmeproblem durch Steuer- und Abgabenerhöhungen zu lösen, wird Folgen für das Wachstum haben. Experten schätzen, dass das Bruttoinlandsprodukt 2003 um ein halbes Prozent weniger zunehmen wird und die Unternehmen noch mehr Leute entlassen. Damit setzt die Koalition eine gefährliche Abwärtsspirale in Gang: Indem sich der Staat konsolidiert, nimmt er Firmen und Bürgern die Luft für Investitionen und Konsum. Das lähmt die Wirtschaft und schmälert erneut das Steueraufkommen. Der Staat handelt prozyklisch, statt die Firmen durch Aufträge zu stützen – und spart sich so am Ende selbst kaputt.

Befreien kann sich die Schröder-Regierung aus diesem Dilemma nur, wenn sie den Mut zu schmerzhaften Entscheidungen aufbringt. Allein auf eine anspringende Konjunktur zu wetten, ist keine verlässliche und nachhaltige Politik. Die Struktur der Ausgaben gehört auf den Prüfstand. Der Kanzler muss sich fragen: Muss der Staat Branchen wie Bergbau oder Landwirtschaft künstlich am Leben erhalten? Muss er überflüssige Techniken wie den Transrapid subventionieren? Muss er gesundheitsschädliche Schichtarbeit steuerlich begünstigen? Muss er Beamte im Alter besser versorgen als Arbeitnehmer? Muss die Verwaltung schlanker werden? Und muss er sich ein Sozialhilfesystem leisten, das die Bürger nicht zum Arbeiten motiviert?

Will Schröder nicht scheitern, muss er erklären, wie viel Ineffizienz um einer wolkigen sozialen Gerechtigkeit willen sich das Land leisten soll. Oder die Bürger davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, immer höhere Steuern für immer schlechtere staatliche Leistungen bei immer weiter steigenden Schulden zu bezahlen.

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