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Nationale Sicherheit: Die Afghanistan-Akten und das Gift der Lüge

Von Vietnam bis Afghanistan: Gegen die Wahrheit kann man keinen Krieg führen. Sollte man auch nicht, denn sie ist es nicht, die die nationale Sicherheit gefährdet. Ein Kommentar.

Die einen spielen die Sache herunter, die anderen wollen erst einmal prüfen, und die Amerikaner haben noch nicht reagiert. Nach der Veröffentlichung von geheimen US-Dokumenten zum Afghanistankrieg durch die Internetplattform Wikileaks tut der britische Außenminister, als sei ihm die Sache ziemlich egal. Das Verteidigungsministerium in Berlin will eruieren, ob deutsche Sicherheitsbelange tangiert wurden. Die US-Regierung hatte in einem ähnlich gelagerten Fall bereits früher die nationale Sicherheit gefährdet gesehen.

Tatsächlich ist nicht viel von den 90 000 ins Netz gestellten Seiten wirklich sensationell. Fast alles fügt sich jedoch wie zusätzliche Puzzlesteine in ein bekanntes, aber noch nicht komplettes Bild. Die militärische Lage in Afghanistan ist dramatischer, als die politischen Führungen der Alliierten zugeben, Pakistan spielt im Hintergrund dabei eine unrühmliche Rolle, und einigermaßen überraschend verfolgt die Türkei merkwürdige Sonderinteressen in diesem Krieg.

Auch demokratische Regierungen haben in kriegerischen Zeiten die Tendenz, nur jenen Teil der Fakten preiszugeben, der ihres Erachtens die militärischen Planungen nicht behindert. In jedem bewaffneten Konflikt zählt die Wahrheit zu den ersten Opfern. Aber, und das macht eben im Gegensatz dazu Hoffnung, kein Krieg lässt sich gegen die Wahrheit führen, wenn sie einmal offenbar geworden ist.

Die USA haben in Vietnam vor vier Jahrzehnten auch deshalb eine Niederlage erlitten, weil die Medienberichte den jungen Amerikanern, die eingezogen werden sollten, die ganze brutale Wahrheit über den Kriegsschauplatz in Südostasien und die rücksichtslose Art der Kriegführung vermittelten. Der Kampf gegen den Krieg, den der demokratische Senator William Fulbright über Jahre führte und der 1967 in seiner auch ins Deutsche übersetzten, aufrüttelnden Schrift „Die Arroganz der Macht“ gipfelte, wäre ohne die Unterstützung der Medien weitgehend verborgen geblieben. Die Pentagon-Papiere, 1971 in der „New York Times“ und der „Washington Post“ abgedruckt, bildeten das Lügengestrüpp ab, mit dem der damalige Verteidigungsminister Robert McNamara den Vietnamkrieg zu rechtfertigen suchte. Seitdem haben die USA in jedem bewaffneten Konflikt versucht, eine unabhängige journalistische Berichterstattung zu verhindern oder zu erschweren. Die „embedded journalists“, die eingebetteten Kriegsberichterstatter im Irakkrieg, sind das jüngste Beispiel dafür.

Indiskretionen wie die jetzt von Wikileaks und den Zeitungen, die die Texte auszugsweise drucken, haben deshalb ausschließlich das journalistische Ziel, die Wahrheit ans Licht zu bringen. „The people’s right to know“, das Recht der Öffentlichkeit auf ungefilterten Zugang zu allen Nachrichten, ist im ersten Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten festgehalten. Er trat als Bestandteil der „Bill of Rights“ 1791 in Kraft.

Nicht die Wahrheit ist es, die die nationale Sicherheit gefährdet. Es ist das Gift der Lüge. In den USA und anderswo.

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