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Meinung: Die Berliner Fleetstreet

Wer die Kochstraße abschafft, ignoriert die Pressegeschichte der Stadt Von Conrad Wiedemann

In wenigen Tagen, am 21. August, läuft das Bürgerbegehren ab, das die Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke- Straße bislang aufgeschoben hat. Die Umbenennung wurde bekanntlich im Dezember 2004 von der „taz“ vorgeschlagen und am 29. August 2005 von der Bezirksversammlung Friedrichshain- Kreuzberg mit den Stimmen der PDS, der Grünen und eines Teils der SPD beschlossen. Die oppositionelle CDU antwortete darauf mit dem Bürgerbegehren, von dem es inzwischen heißt, dass es die notwendigen 5000 Unterschriften (die von Stadtbezirksbewohnern stammen müssen) erreicht hätte. Das leidige Gezerre geht also in eine neue Runde und möglicherweise doch noch gut aus.

„Gut“ kann in diesem Fall nur heißen, dass die Kochstraße ihren alten Namen behält, nicht etwa, weil er an einen wackeren Bäcker und Vizebürgermeister aus dem frühen 18. Jahrhundert erinnert, sondern weil er zum Symbol für eine der glorreichsten Episoden der Berliner Geschichte geworden ist, die Geschichte der Berliner Presse zwischen 1880 und 1933. Diese Geschichte, die vom kostbaren demokratischen Eigensinn der Zeitungsmacher gegen ein halbautokratisches Regime und den dazugehörigen Untertanengeist handelt, ist offensichtlich im Begriff, sogar von der Berliner Presse selbst vergessen oder leichtfertig drangegeben zu werden, wie in diesem Fall von der „taz“, die es vielleicht gar nicht so ernst gemeint hat und über ihren Erfolg längst gemischte Gefühle hegt. Denn nichts ist sicherer, als dass die Umbenennung, wenn sie denn geschieht, à la longue als Schildbürgerei und Lachnummer in die Chronik Berlins eingehen und das Lächerliche weniger den Initiatoren als der Stadt anhängen wird.

Wohlgemerkt: Lächerlich sind nicht Rudi Dutschke und der Wunsch, ihm eine Straße zu widmen. Dutschke war ein wilder Kerl mit unfrisierten Ideen, der zwei kurze Jahre lang die Selbstzufriedenheit der Berliner aufgemischt hat, bis ihn die Schüsse eines Verrückten trafen. Er war kein Publizist, sondern ein Virtuose der Aktion, und seine Heimat war nicht das Zeitungsviertel, sondern die Universität und die studentische Solidargemeinschaft. Sieht man von der ostdeutschen Dissidenz ab (die von den 68ern nicht sonderlich geliebt wird), dann ist nicht viel an intellektuellem Aufbegehren nachgekommen. Es sollte nicht schwer fallen, unter den tausend Straßen Berlins eine für ihn zu finden.

Blamabel hingegen ist die naiv oder wider besseres Wissen angemaßte Deutungs- und Entscheidungshoheit in historischen Belangen, die von der Spaßredaktion unversehens in die Bürgervertretung springt und denn auch gleich eine der hierzulande so raren Freiheitstraditionen quittiert, an die anzuknüpfen der jungen und identitätsschwachen Hauptstadt wohl anstünde. Welches Letztere im übrigen – höhere Ironie? – Axel Springer 1969 bei der Einweihung seines Konzernhauses an der Mauer noch getan hat. Doch derlei scheint inzwischen in weite Ferne gerückt. Wer die Meldungen und Kommentare (es mögen zwischen 200 und 300 sein) liest, muss annehmen, dass keiner der Autoren je Peter de Mendelssohns mitreißende Geschichte der „Zeitungsstadt Berlin“ in Händen hatte, wo jeder, der es denn will, dem „Geist der Kochstraße“ höchst anschaulich begegnen kann. Mendelssohn, der 1933 als Redakteur an Mosses „Berliner Tageblatt“ die Stadt verlassen und sich im Londoner Exil eine zweite Journalisten-Existenz aufbauen musste, kam 1945 als intelligence officer der Alliierten für den Pressebereich nach Berlin zurück. Dass gerade er, der schändlich Vertriebene, zum maßgeblichen Trümmerbaumeister des journalistischen Neubeginns wurde und u. a. an der Grüdnung des Tagesspiegel beteiligt war, ist erstaunlich genug. Noch erstaunlicher ist freilich, dass er dann in seiner Pressegeschichte nicht zögerte, das Berlin der Ullstein-Mosse-Scherl-Zeit als „die größte Zeitungsstadt der Welt“ und die damaligen Berliner als das „zeitungsversessenste und zeitungsverwöhnteste Volk der Welt“ zu feiern.

Das Ärgerlichste, fast ein Skandal, erscheint mir das dröhnende Schweigen der Intellektuellen und Historiker. Während einige prominente Politiker und Kulturbürokraten sich zu gewundenen oder unsäglichen Kommentaren aufgeschwungen haben, blieb die unabhängige Kritik bislang stumm, als ginge es hier nicht um eine Angelegenheit des Bürgersinns, sondern einen Silvesterscherz. So werden wir auf ihren Einspruch wohl warten müssen, bis die Londoner ihre Fleetstreet, die New Yorker ihre Wall Street oder die Pariser ihren Boulevard St. Michel überhaben, – also lang. In der Zwischenzeit ist in Berlin guter Rat teuer. Die Hoffung heißt Chefsache.

Der Autor ist emeritierter Professor für Neuere Deutsche Philologie an der Technischen Universität Berlin.

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