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Die Causa Strauss-Kahn: Macht, Recht und Narzissmus

Macht kann wie eine Droge wirken - und wer ihr verfällt, fällt tief. Der Fall Strauss-Kahn beweist, wie schnell die Mächtigen aus dem Gleichgewicht geraten können. Das führt aber nicht immer gleich zum Sturz.

Von Caroline Fetscher

Auf eine Verblüffung folgt die nächste. Immer dramatischer scheint die Kluft zwischen Macht und Ohnmacht zu schwinden, wo ehemalige Ministranten einen Bischof stürzen können oder Zimmermädchen einen IWF-Chef und möglichen Präsidentschaftskandidaten in Frankreich, wo kleine Bankangestellte milliardenschwere Steuerdiebe vor den Kadi bringen, oder in Armut lebende Massen die steinreichen Autokraten von der Spitze ihrer Staaten fortfegen. Wird das Gesetz konsequent angewendet, ist der Wille nach Recht und Gerechtigkeit stark genug, dann, so die gute Botschaft, ändern sich die Zeiten, die Verhältnisse, die Wahrnehmung.

Was die Fälle von fallenden Mächtigen in Deutschland, Frankreich, Amerika, Nordafrika gemein haben, ist ein weiterer Schub des Auslaufens einer politischen Klimaepoche, in der Selbstherrlichkeit und Arroganz der Macht als unanfechtbar, unantastbar galten, während das Stillhalten der Ohnmächtigen ausgemacht war. Die Zeitgeschichte, so scheint es, schlägt ein neues Buch auf, das vom Ende der Straffreiheit für Mächtige.

Im aktuellen Lehrstück „Dominique Strauss-Kahn“ nun, einem Kapitel in diesem Buch, werden die Blätter soeben neu beschrieben. Von Lücken in der Glaubwürdigkeit der Klägerin ist die Rede. Die aus Guinea stammende afrikanische Immigrantin, eine Hotelangestellte, der Strauss-Kahn als Hotelgast gewaltsam nahegetreten sein soll, sei mit Drogenhändlern und Geldwäschern im Bunde, heißt es. Genaues indes weiß niemand. Im Augenblick scheint es, als hätten beide gelogen, als seien beide belastet.

Das Lehrstück behält gleichwohl massive Sprengkraft. Ganz gleich, ob Strauss- Kahn nun ohne Fußfessel in Manhattans Restaurants dinieren kann, ganz gleich, ob seine Causa mit Freispruch endet, mit Vergleich oder Verurteilung – wie er sind viele seinesgleichen gewarnt. Im Spannungsfeld zwischen dem Narzissmus der Macht und der erfahrenen Ohnmacht des Mächtigen werden viele Weichen neu gestellt, Grenzen neu definiert und erhält Integrität neues Gewicht. Die negative Seite narzisstischer Macht gerät in entlarvendes Licht.

In seiner exzellenten Studie zu „Macht und Narzissmus“ beschreibt der Sozialpsychologe Hans-Jürgen Wirth das Dilemma egozentrischer Machtausübung. Je mehr Machtfülle jemand auf sich vereint, desto angewiesener wird er zugleich auf andere. Wer das nicht aushält, weil er in seiner eingebildeten Grandiosität der „Droge Macht“ verfällt und daher immer mehr und mehr von diesem Stoff braucht, der missachtet in seiner Kontrollsucht andere, er überfährt sie und entgleist.

Solche Entgleisung – die heute „Berlusconi“ heißt, „Gaddafi“ oder „Mixa“ – gehörte über ganze Epochen zur fraglos hingenommenen Komponente von Machtausübung, noch dort, wo bürgerliche Demokratie und Rechtsstaat das Sagen hatten. Als Residuen prädemokratischer und feudaler Strukturen blieben viele Formen von Machtmissbrauch latent oder offen erhalten, sie überwinterten im Unbewussten von ganzen Generationen, verknüpft mit der infantilen Angst, „der Mächtige“ könne sich rächen, er säße am längeren Hebel. Zum realen Anteil der Angst gehörte die Erfahrung, dass für Mächtige, ob sie Oppositionelle unterdrücken, Steuern hinterziehen, Frauen vergewaltigen oder Kinder missbrauchen, oft andere Maßstäbe galten. Die heutige Dynamik wirkt dem entgegen. Der politische Klimawandel wird globaler.

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