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Aufnahme von Flüchtlingen: Die Christenvertreibung im Irak geht uns an

Etwa 80 Prozent aller Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sind Christen. Im Irak findet derzeit die größte Vertreibung der Gegenwart statt. Es ist eine Tragödie, die uns alle aufrütteln sollte.

Moral ist an Normen gebunden, hat aber auch mit Nähe zu tun. Das Nasenbluten des eigenen Kindes wird oft als schlimmer empfunden als das gebrochene Bein des fremden Kindes. Das Schicksal einer schwer kranken Freundin kann uns intensiver beschäftigen als das der Menschen in Simbabwe und Malawi, wo rund 30 Prozent der Bewohner an Aids erkrankt sind. Das Flutwasser im Oderbruch berührt viele Deutsche mehr als das in China. Kein Mensch verteilt sein Mitleid ganz gerecht. Keiner misst es allein an Zahlen und dem Maß der Bedürftigkeit. Jeder spürt, dass neutrale Humanität unmöglich ist, weil Hilfsbereitschaft sich auch an das Gefühl der Verbundenheit knüpft.

Im Irak haben Al-Qaida-Terroristen erneut Dutzende Christen ermordet. Die Attentäter stürmten das Gotteshaus während der Abendmesse, ein Teil von ihnen trug Sprengstoffgürtel, andere verschanzten sich mit Gewehren und Handgranaten hinter Kindern. Als erster wurde der Priester am Altar hingerichtet. Dieses Verbrechen reiht sich ein in eine lange Kette christenfeindlicher Taten. Seit dem Sturz Saddam Husseins haben islamistische Terrorkommandos immer wieder Anschläge auf Christen verübt, wahllos christliche Familien erschossen und gezielt Kirchen gesprengt. Von den ursprünglich rund 1,2 Millionen irakischen Christen sind bereits mehr als zwei Drittel geflohen. Die Zurückgebliebenen leben in permanenter Angst.

Nun ist das Christentum ohnehin die am heftigsten bekämpfte Religion. Rund 100 Millionen Christen in mehr als 50 Staaten werden weltweit diskriminiert, gefoltert, hingerichtet. Etwa 80 Prozent aller Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sind Christen. Doch in islamischen Ländern ist die Lage besonders dramatisch. Nicht nur im Iran werden Konversionen mit der Todesstrafe geahndet. Nicht nur in Saudi-Arabien kann es lebensgefährlich sein, in der Bibel zu lesen. Im Jemen wurden im vergangenen Jahr zwei junge deutsche Christinnen ermordet. Und im Irak findet derzeit die größte Christenvertreibung der Gegenwart statt. Es ist eine Tragödie, die uns alle aufrütteln sollte.

Glauben stiftet Gemeinschaft. Muslime fühlen sich für andere Muslime verantwortlich, Juden für andere Juden. Bloß unter Christen fehlt oft die Bereitschaft, sich für Seinesgleichen einzusetzen. Dabei hat Deutschland eines der christlichsten Kabinette seit Jahrzehnten: Angela Merkel, Pfarrerstochter; Guido Westerwelle („Ich bin aus Glauben und Überzeugung in der Kirche“); Philipp Rösler und Annette Schavan (Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken); Thomas de Maizière (Präsidiumsmitglied im Deutschen Evangelischen Kirchentag); Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen, Kristina Schröder, Karl-Theodor zu Guttenberg (allesamt dezidiert gläubig).

Deutschland könnte somit ein europäisches Vorbild dafür sein, wie sich die Berufung auf die christliche Tradition und die christliche Nächstenliebe auch einmal praktisch auswirken kann – durch eine weitaus großzügigere Aufnahme verfolgter Christen aus dem Irak. Natürlich wäre es besser, sie könnten dort bleiben, wo sie seit Jahrhunderten leben. Aber darauf hat Deutschland kaum Einfluss, selbst die USA können die Entwicklung im Land nach dem Abzug ihrer Kampftruppen nicht mehr steuern. Was bleibt, ist Hilfe für die, denen man nahe ist. Ob als Christ, Atheist oder Humanist. Manchmal allerdings muss man sich auch nahe fühlen wollen.

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