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Mit dem Ferrari zum Hausbesuch? Ein Tierarzt hat's versucht - und scheiterte.

© dpa

Die Deutschen und der Staat: Abgreiferei im Alltag schadet der Solidargemeinschaft

Der Staat wird für zu viele Dinge in die Pflicht genommen – und damit ist die Solidargemeinschaft in Gefahr. Es ist Zeit für ein Umdenken.

Wer möchte nicht gerne Ferrari fahren? Oder seine Ehefrau in China besuchen, wenn es sie dahin verschlagen hat?

Aber der Reihe nach: Ein Tierarzt hat für die Fahrten zu seinen Patienten stets einen VW-Bus benutzt, wollte aber zu Fortbildungen und Kongressen lieber standesgemäß mit einem geleasten Ferrari anreisen. Betriebskosten von rund 100.000 Euro machte er dafür allen Ernstes beim Finanzamt geltend. Das Finanzgericht Nürnberg folgte ihm nicht und sprach ihm lediglich einen steuerlichen Abzug von 4104 Euro über drei Jahre zu. Für Fahrten zu Kunden und Patienten sei der Sportwagen nicht geeignet und dafür laut Fahrtenbuch auch nie genutzt worden, begründete das Gericht die Entscheidung. Die Kosten seien auch einfach zu hoch.

Auch die zweite Geschichte in diesem Artikel hat ein Gericht beschäftigt. Es geht um Hartz IV, aber es ist nur ein Zufall, dass Peter Hartz ausgerechnet heute vor zehn Jahren seine Reformideen im Französischen Dom präsentierte. Ein 58 Jahre alter Hartz-IV-Empfänger aus Frankfurt am Main hatte auf Kostenübernahme für Reisen zu seiner Frau in China geklagt. Er hatte die Chinesin in Singapur geheiratet, wo er gearbeitet hatte. Nach Ende seines Jobs zog er nach Frankfurt, sie nach China. Seine Frau habe kein Geld für einen Deutschkurs und könne daher nicht zu ihm ziehen, begründete der Mann seinen Antrag beim Jobcenter. Das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt folgt dieser Argumentation nicht. Zwar seien die Kosten für ein eheliches Zusammenleben ein anerkennungsfähiger Bedarf, das gelte aber nicht für Besuchsreisen ins Ausland.

Was diese Geschichten miteinander zu tun haben? Sehr viel – denn sie sind Belege für eine wahnwitzige Vollkaskomentalität, die ganz unten offenbar genauso herrscht wie ganz oben. Dass Menschen wie der Ferrari-Arzt oder der China-Hartzer tatsächlich glaubten, im Recht zu sein, ist der eigentliche Skandal. Ganz offensichtlich läuft in dieser Gesellschaft etwas dramatisch schief. Sich auf Kosten Dritter zu bedienen, ist Alltag in Deutschland geworden. Manager machen sich selbst bei Fehlleistungen die Taschen voll und reagieren beleidigt, wenn man sie dann kritisiert. Auch der grassierende Versicherungsbetrug gehört in diese Schublade. Es sind schließlich immer die anderen, die draufzahlen.

Es ist leicht, diesen Missstand zu konstatieren. Man klingt dann allerdings moralinsauer und altmodisch. Das Thema gilt allenfalls als Stoff für Predigten. Nur: Es geht letztlich um den Kern der Nachkriegsgesellschaft – die Solidargemeinschaft. Die Entwicklung der Staatsfinanzen und der Demografie erzwingt über kurz oder lang die Neuordnung des Sozialstaats. Und dafür braucht es einen gesellschaftlichen Konsens darüber, wann der Staat in der Pflicht ist. Mag sein, dass er eine Mindestrente von 850 Euro garantieren sollte, wie es Ursula von der Leyen anstrebt. Zu Recht wird soziale Gerechtigkeit das große Wahlkampfthema 2013. Aber es geht um viel mehr als um ein paar Slogans.

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