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Finanzminister Wolfgang Schäuble.

© dpa

Die Deutschen und der Staat: Hier baut die Bundesrepublik

Mit Eigenverantwortung verbinden die Deutschen mehr Risiken als Chancen. Deshalb überlassen sie anders als die Amerikaner dem Staat erstaunlich gern ihr Geld

W er Jahre im Ausland lebt, gerät beim Blick auf Deutschland mitunter ins Staunen. Zum Beispiel darüber, mit welcher Leichtigkeit der Ruf nach Steuererhöhungen ertönt, wie wenig Ablehnung laut wird – und unter welch geringem Begründungszwang Befürworter stehen. In den jüngsten Tagen schien der Hinweis auszureichen, es erleichtere die Koalitionsbildung, wenn man sich auf höhere Steuern einige. Das ist eine bemerkenswerte Begründung in einer Zeit, in der die Staatseinnahmen die Prognosen übersteigen.

In angelsächsischen Ländern funktionieren die Reflexe umgekehrt. Als Präsident Obama 2010 die Steuern für Jahreseinkommen ab 250 000 Dollar erhöhen wollte, waren in Umfragen annähernd die Hälfte der Bürger dagegen – natürlich nicht, weil sie alle so reich sind. Sondern weil sie hoffen, dass sie einmal viel verdienen werden, und weil sie aus Prinzip gegen mehr Staat sind. Diese Haltung bewerten viele Deutsche als irrational und ideologisch. Umgekehrt gilt das freilich genauso. Im Ausland verstehen viele nicht, warum es in Deutschland nicht mehr Opposition gegen das Ausmaß staatlicher Umverteilung gibt.

Die Höhe der Steuern ist am Ende nur Ausdruck der Grundeinstellung zu bürgerlicher Eigenverantwortung und staatlicher Fürsorge. Amerikaner halten den Staat für schlecht und die Eigenverantwortung für das Ideal; sie wollen den Staat möglichst klein halten. Viele Deutsche halten den Staat für gut und trauen ihm sogar zu, soziale Gerechtigkeit durchzusetzen. Mit Eigenverantwortung verbinden sie mehr Risiken als Chancen – oder zumindest mehr Mühe. Deutsche sind, ob eingestanden oder nicht, im Zweifel Anhänger von „Big Government“.

Man kann verstehen, warum Politiker höhere Staatseinnahmen anstreben. Wer Geld verteilen darf, macht sich beliebt. Es ist ein Machtinstrument. Seit die Schuldenbremse beschlossen wurde, geht das nur noch über höhere Steuern. Schwerer zu verstehen ist, warum ein Großteil der deutschen Gesellschaft dies ohne viel Widerspruch mit sich geschehen lässt. Höhere Steuern liegen nicht im materiellen Interesse der Bürger – und dies gilt keineswegs nur für die Reichen, wie in Deutschland gern behauptet wird. Auch Bürger mit unteren und mittleren Einkommen hätten Nutzen davon, wenn der Staat ihnen mehr Geld in der Tasche ließe und im Gegenzug seine Wohltaten reduzierte. Nur jene, die überwiegend von staatlichen Transferleistungen leben und kaum etwas zum Gemeinwohl beitragen, fahren besser, wenn der Staat einen höheren Anteil des Bruttoinlandsprodukts umverteilt.

Für den Großteil der Gesellschaft trifft das nicht zu. Geld, das der Staat einnimmt, um es dann wieder auszugeben, wird nicht effizient eingesetzt. Das muss man dem Staat nicht vorwerfen, es liegt in der Natur der Sache. Um flächendeckend Steuern einzutreiben, benötigt er eine Verwaltung – und um die staatlichen Dienstleistungen zu organisieren, ebenfalls. Das macht staatliches Handeln deutlich teurer im Vergleich zu einer Gesellschaft, in der Bürger mehr Selbstverantwortung übernehmen. Man darf froh sein, wenn am Ende zwei Drittel des Geldes dem behaupteten Ziel staatlicher Umverteilung zugute kommen. Ein Großteil wird von den Kosten der Bürokratie aufgefressen.

Das Bewusstsein für die Kosten staatlichen Handelns ist in Deutschland im Vergleich zu den USA verkümmert. Wer hierzulande fordert, der Staat solle mit weniger Geld auskommen, wird mit dem Vorwurf konfrontiert: Wem willst du etwas wegnehmen? Dabei verhält es sich gerade umgekehrt. Wer den Staat beschneidet, will den Bürgern etwas zurückgeben, was ihnen gehört: einen höheren Anteil am selbst verdienten Geld samt der Wahlfreiheit, wofür sie es ausgeben wollen.

In den USA muss sich der Staat permanent rechtfertigen, dass er Steuergelder sinnvoll einsetzt; das Misstrauen sitzt tief. An öffentlichen Baustellen drücken Schilder den gedanklichen Ansatz aus: „Your tax dollars at work“. Der Bürger ist der Financier, ist der Bauherr. Ganz anders in Deutschland: „Hier baut die Bundesrepublik …“ Der Staat tritt als Bauherr auf, die Bürger sind passive Empfänger von Wohltaten.

Der große Ökonom Friedrich August von Hayek hat vor Jahrzehnten gewarnt, Freiheit sei nur durch die Bereitschaft zu Eigenverantwortung zu haben. Die Ausweitung staatlicher Zuständigkeit beschrieb er als „Weg zur Knechtschaft“. Je mehr der Staat die Eigenverantwortung zurückdränge und je mehr Bereiche er in seine Zuständigkeit überführe, desto abhängiger werden die Bürger von seiner Zuwendung. Sie werden tendenziell wieder zu Untertanen.

Welche Rolle haben die Steuerpolitik und das Ausmaß staatlicher Zuständigkeit bei der Wahl 2013 gespielt? Auf den ersten Blick ist das schwer zu sagen. Die Schlappe für die Grünen wurde als Ablehnung ihres Steuererhöhungskonzepts interpretiert. Das Scheitern der FDP, die sich als einzige Kraft gegen höhere Steuern empfohlen hatte, dient als Gegenbeleg. Die Bedenkenlosigkeit, mit der starke Kräfte in beiden Volksparteien offen über höhere Steuern reden, offenbart: Sie vertrauen darauf, dass eine Mehrheit der Deutschen lieber zahlt, als die Freiheit zur Selbstverantwortung einzufordern.

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