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Meinung: Die Deutschenmacher

Pascale Hugues, Le Point

Wie stellt man es an, Deutsche zu werden? „Da meldet sich gar keiner! Ich schaue woanders“, antwortet die erloschene Stimme der Telefonistin im Innenministerium. Mozarts Kleine Nachtmusik. Ich darf von einem Apparat zum nächsten tanzen. „Augenblick, da verbinde ich Sie mal mit dem zuständigen Referat!“ … „Derjenige ist nicht am Platz“… „Kleinen Moment Geduld, bitte!“… „Ich versuch’s noch mal.“ Nach mehreren Runden und immer neuem Schweigen, nur unterbrochen durch meine Frage, die von Büro zu Büro gereicht wird und anscheinend überall großes Erstaunen auslöst, erhalte ich endlich die erbettelte Antwort: „Staatsangehörigkeitsbehörde“, ein Wort so lang wie ein Güterzug. Ein Wort, bei dem man aus der Puste kommt, bei dem man über jede einzelne Silbe stolpert. Ein sehr deutsches Wort.

Im Rathaus Schöneberg hält sich die Telefonistin nicht mit rein dekorativen Höflichkeitsfloskeln auf. „Hallo, ja!“, wirft sie mir ins Ohr. Ich tröste mich damit, dass diese barsche Anrede wenigstens direkt ist. Inzwischen hasse ich die Empfangsdamen in den Hotels für Geschäftsleute, die einen 20 Sekunden (ich habe die Zeit gestoppt) hinhalten, indem sie einem ihren Namen, ihre Funktion, alle guten Wünsche für den Tag herunterleiern. Und schließlich, wenn man den Apparat vor Wut am liebsten fressen würde, flöten sie einem entgegen: „Was kann ich bitte für Sie tuuuun?“

In null Komma nichts hat die Telefonistin im Schöneberger Rathaus mich mit dem für die Einbürgerung zuständigen Beamten verbunden. Ich würde nicht behaupten, dass Herr Deutsch mich mit offenen Armen empfängt, aber er tut seine Arbeit gewissenhaft und zählt mir die Bedingungen auf, die ich zu erfüllen habe. Papierrascheln, und dann schnellt er los wie ein 100-Meter-Läufer beim Start. „Feste Arbeit haben Sie. Vorbestraft sind Sie nicht. In Deutschland wohnen Sie seit mehr als acht Jahren. Deutsch sprechen Sie auch, wie ich merke.“ Ich fühle mich, als müsste ich noch mal das Abitur machen. Hoffentlich habe ich mich nicht in die Deklination verstrickt und die Fälle gut gewählt. Ich halte die Luft an. „Deutsch korrekt!“, bezeugt Herr Deutsch. Ich atme auf.

„Werden viele Einbürgerungsanträge gestellt?“ Meine Frage scheint mir gerechtfertigt. Denn wer, um Himmels willen, belädt sich freiwillig mit einer so schweren Identität und als Dreingabe auch noch mit einer so katastrophalen Vergangenheit? „Es gibt mehr Leute, die einen Antrag stellen, als solche, die Staatsbürgerschaft bekommen!“, sagt Herr Deutsch. Aber ich bin einer der wenigen Bürger der Europäischen Union, die sich darum bemühen. Na, hatte ich’s mir doch gedacht. Herr Deutsch möchte mich beruhigen: „Nach dem, was ich höre, sieht es für Sie gut aus. Sonst hätte ich Ihnen abgeraten.“ Ich erfahre, dass ich die Grundwerte der freiheitlich demokratischen Grundordnung anerkennen muss. Ein gut erklärter Vordruck soll mir zugeschickt werden. Ich frage, wann ich schwören muss, die rechte Hand erhoben, die linke auf dem Herzen. Ich fände es ziemlich schick, wenn ich mich dabei in die deutsche Fahne einwickeln würde wie Claudia Schiffer, die in den Farben der Tokioter U-Bahn bei den ausländischen Investoren für die Kreativität ihres Landes wirbt. Dazu würde eine kleine Blaskapelle das Deutschlandlied spielen. Herr Deutsch würde mir einen Tulpenstrauß überreichen. „Nein! Nein!“, unterbricht Herr Deutsch meine Träumereien. Die einfache Unterschrift ganz unten genügt.

„Und, wollen Sie gar nicht wissen, ob meine Beweggründe wirklich tief gehen?“ Naiv stelle ich meine Frage. Dieser Vorstoß ist im Grunde nur ein kleiner Test, der mir zeigen soll, was passieren würde, wenn ich tatsächlich Deutsche werden wollte. Meine Frage ist nicht ernst gemeint. Aber jetzt, wo ich diesen Schritt unternommen habe, wo der Bedienstete mir ankündigt, dass die Formulare morgen in meinem Briefkasten liegen und ich, wenn alles glatt geht, in sechs Wochen, spätestens in sechs Monaten, Deutsche sein werde, jetzt lasse ich mich auf das Spiel ein. „Wie Sie sich fühlen, interessiert uns nicht.“ Ach, fast hätte er es vergessen: Deutsche zu werden, kostet 255 Euro. Der Betrag ist in zwei Raten zu zahlen: 191 Euro bei der Anmeldung. Der Rest, wenn man den neuen Pass entgegennimmt.

„Die Deutschen schicken Sie erst mal an die Kasse!“, ereifert sich der französische Beamte, als ich ihm von meinem Abenteuer erzähle. Und ich merke genau, dass Monsieur Français das Herrn Deutsch übelnimmt. Franzose zu werden, kostet nichts! Ohne einen einzigen Cent zu zahlen, erben Sie die universelle Erklärung der Menschenrechte, das Cassoulet und Coco Chanel. Keine Kollektivschuld, fast keine dunkle Vergangenheit. Ein Traum!

Die Unterlagen zur Einbürgerung sind gestern mit der Post gekommen. Ich habe sie auf meinen Schreibtisch gelegt. Von Zeit zu Zeit beäugen wir uns skeptisch.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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