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Nicht immer einer Meinung - Altkanzler Kohl und die heutige Amtsinhaberin Merkel.

© dpa

Die EU in der Krise: Aus der Werkstatt wird ein anderes Europa zurückkommen

Die Deutschen wissen nicht, was sie wollen: Erst musste man an Europa glauben wie in der Kirche - jetzt soll es sich plötzlich rechnen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Die Krise in Europa ist eskaliert, weil die Deutschen gerade das Versprechen brechen, das Helmut Kohl in seiner Zeit als Kanzler den anderen Europäern gegeben hat: dass das Geld für dieses Projekt aus Deutschland kommt. Die Deutschen wehren sich gegen eine Transferunion, die in Wahrheit jedoch eine logische Folge der Währungsunion ist.

Die Details der aktuellen Krise werden dadurch politisch nicht weniger bedeutsam. Doch sie haben eine andere Grundlage. Die Erzählung ist eine andere geworden. Das Europa von Helmut Kohl ist gegen die Wand gefahren, und was auch immer wir aus der Werkstatt wiederkriegen, es wird ein anderes Europa sein.

Die Deutschen haben, wie es der Historiker Andreas Rödder im „Spiegel“ nennt, eine „Sakralisierung Europas“ betrieben. Das hat, wie sich jetzt herausstellt, zur Schwächung Europas statt zur Stärkung geführt, weil es die Kritiker und Warner nicht ernst genommen hat. Die gab es ja: Der Brite William Hague hat den Euro als ein „brennendes Haus ohne Ausgang“ beschrieben, andere haben immer wieder gegen den Euro geklagt, und die „Bild“ zitierte am Freitag aus einem Buch von Arnulf Baring aus dem Jahr 1997: „Die Währungsunion wird daher am Ende auf ein gigantisches Erpressungsmanöver hinauslaufen. Man wird uns sagen: Wenn ihr wollt, dass die Währungsunion funktioniert und uns Europa nicht um die Ohren fliegt, dann müssen wir Transferzahlungen leisten.“

Terrorismus ist nicht Frieden

Doch Helmut Kohl war ein Europa-Ideologe, er glich mit Pathos und politischen Drohungen seine ökonomische Ahnungslosigkeit aus. Worum es ihm ging, schrieb Kohl noch im vergangenen Jahr in einem kleinen Buch auf: „Durch den Euro ist die europäische Einigung im Wortsinn unumkehrbar geworden und sind wir der dauerhaften Sicherung von Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent einen wichtigen Schritt näher gekommen.“ Dabei ist es weniger wichtig, dass der Finanzminister eines Euro-Landes heute den Rest von Europa des „Terrorismus“ bezichtigt und in Griechenland die medizinische Versorgung in Gefahr gerät – beides kaum Merkmale von Frieden von Freiheit –, sondern, dass Kohl stolz von „unumkehrbar“ spricht, was von Angela Merkel immer wieder mit dem Wort von der „Alternativlosigkeit“ aufgenommen wurde.

So wurde das Projekt überhöht, moralisch, historisch, einer politischen Religion gleichgestellt, bei der jeder, der sich diesem Vorhaben entgegenstellte, zum Apostat wurde. Das ist in einem politischen System, das von Widerspruch und Korrekturen lebt, ein Skandal. Denn Demokratien können sich nichts davon kaufen, dass es nachher Leute gibt, die es vorher besser wussten. Ihre Stärke ist es, dass sie nicht meinen, alles zu wissen. Doch gerade deshalb müssen sie sicherstellen, dass Widerspruch zu seinem Recht kommt und nicht diskreditiert wird. Wenn man Leute einfach machen lässt, wie es die Deutschen mit Helmut Kohl und seiner katastrophalen Europa-Politik getan haben – vielleicht aus Grundvertrauen, vielleicht aus Desinteresse –, dann führt das, wie wir sehen, zu Kontrollverlust.

Das europäische Vorhaben ist kontrahiert

Wie konnte nach all dem, was Deutschland im vergangenen Jahrhundert erlebt hat, ein solches Heilsversprechen politisch Erfolg haben? Wo war die Skepsis geblieben, die Bereitschaft, sich der Kritik, die ja sowohl von links wie von rechts kam, zu stellen? Die Aufgabe der Politik besteht auch darin, Optionen zu schaffen, Menschen eine Wahl zu präsentieren. Politiker, die sich dem verweigern, oder, noch schlimmer, von Unumkehrbarkeit reden, sollte man mit Misstrauen begegnen.

Das ist nicht passiert, und so gehört auch zu den Erkenntnissen der gegenwärtigen Krise, dass die Deutschen, gerade sie, einer ideologischen Politik gefolgt sind und so aus Europa ein hermetisches Projekt gemacht haben, das nicht nach vorn und nicht zurück kommt. Wie ein Knoten, der unumkehrbar immer fester wird, wenn man an den Enden zieht, ist das europäische Vorhaben so kontrahiert, dass es als Erstes für Griechenland zu eng geworden ist. Doch auch die Briten hätten gern ein bisschen mehr Luft.

Wie notwendig eine Lockerung dieses Knoten ist, also das Herstellen einer europäischen Union, die den unterschiedlichen ökonomischen und kulturellen Interessen gerecht wird, hat die verbitterte Eskalation der Schuldenkrise gezeigt. Die Aufgabe ist klar: aus einer absoluten und illusorischen Union eine reale, aber starke zu machen. Es wird um die Abkehr vom Euro als Kern der europäischen Identität gehen; um die Abkehr von der Ideologie der sich immer weiter integrierenden Union; um eine Union, in der die Griechen, so wie sie sind, auch einen Platz haben.

Das deutsche Versagen liegt nicht allein darin, selbst einmal gegen Europas Schuldenregeln verstoßen zu haben, wie Wolfgang Schäuble heute einräumt („Sündenfall“), sondern darin, jahrzehntelang ein sakralisiertes Projekt betrieben zu haben und plötzlich – in der Logik des Projekts auf illoyale Weise – davon Abstand zu nehmen. Dass Kohls Europa-Projekt in Deutschland so erfolgreich sein konnte, ist Ausdruck demokratischer Unreife: die Kritik daran wurde – zum Schaden des Vorhabens – ignoriert. Das andere Versagen besteht jedoch darin, dieses Projekt als Heilsversprechen auch noch nach Europa getragen zu haben. Ihr müsst nur daran glauben, war Kohls Botschaft; jetzt soll sich das Ganze plötzlich auch noch rechnen. Denn zur Wahrheit der gegenwärtigen Krise gehört: Die Griechen machen das, was sie immer gemacht haben. Es sind die Deutschen, die von ihrem eigenen Glauben abgefallen sind.

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