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Protest am Alexanderplatz. Erneut sind Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten.

© dpa

Die Flüchtlinge auf dem Alexanderplatz: Lampedusa liegt mitten in Berlin

Nach dem Oranienplatz nun der Alexanderplatz: Auch hier fordern jetzt Flüchtlinge eine andere Asylpolitik. Das zeigt: Der Verweis auf geltendes Recht und die „Einzelfallprüfung“ hilft nicht mehr weiter.

Nun sind es schon drei Orte in Berlin, an denen Flüchtlinge eine andere Asylpolitik fordern, an denen sie sich in den Alltag drängen und in den politischen Normalbetrieb. Auf dem Alexanderplatz hungert und durstet sich ein Dutzend Männer aus Afrika in Lebensgefahr. In der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg wohnen 200 Frauen und Männer unter Umständen, die sonst wohl nicht mal in einer Obdachlosenunterkunft geduldet würden. Vor kurzem starb dort ein Mann bei einer Messerstecherei. Da wohnen die Leute und warten darauf, dass sich etwas ändert im Umgang mit Flüchtlingen. Dann ist da noch der Oranienplatz mit seiner Mahnwache – der Rest des Refugeecamps, mit dem alles anfing. Dort hat eine halbe Polizeihundertschaft am Mittwoch dem Versammlungsgesetz Gültigkeit verschafft.

So muss man das wohl nennen, wenn sich Berliner Politiker Gedanken darüber machen, wie man es begründet, mit der Polizei ein Problem zu lösen, damit kein größeres Problem entsteht: ein von Flüchtlingen in ein Flüchtlingslager umgewandelter städtischer Platz. Bei einer Mahnwache, das wissen wir nun, dürfen die Mahnwachenden mal einnicken. Sie dürfen aber dabei nicht auf Isomatten liegen oder in einem Schlafsack. Das Versammlungsgesetz gibt, auch das haben wir gelernt, im Umgang mit Flüchtlingslagern mehr her als das Grünanlagengesetz, das Innensenator Frank Henkel vor einem halben Jahr am O-Platz in Anschlag gebracht hatte.

Was wir nicht wissen – das „wir“ schließt die Berliner Politik großzügig mit ein – ist, wie man denn umgehen soll mit diesen Frauen und Männern, die das Leben in ihrer Heimat so unerträglich fanden, dass sie ihm eine improvisierte, kaum selbst bestimmte, perspektivlose Existenz irgendwo in Berlin vorgezogen haben. Aber Asylpolitik wird eben auch in Berlin gemacht: Das ist ein Aspekt des Hauptstadtseins, den lange niemand so richtig gesehen hat – bis ihn die Menschen erkannten, die als „Refugees“ in Berlin, weit entfernt von allen EU-Außengrenzen, ihren Protest gegen die deutsche und die europäische Asylpolitik begonnen haben. Der Weg von Lampedusa bis nach Berlin ist kürzer, als man denkt.

Es gibt ein großes Unbehagen über die deutsche Asylpolitik

Zwei Mahnwachen, eine besetzte Schule – und der Eindruck, dass es auch mit dem „Kompromiss“, den Integrationssenatorin Dilek Kolat und die Oranienplatz-Besetzer vor Wochen geschlossen haben, nicht wirklich voran geht. Kolat, immerhin, hatte in langen Gesprächen mit den Flüchtlingen erreicht, dass diese den Oranienplatz räumten. Aber das ist bislang alles. Das Improvisieren, so könnte man sagen, funktioniert in der Berliner Politik genau so schlecht wie das meiste andere.

Aber das wäre zynisch. Tatsache ist doch offenbar, dass es bei nicht wenigen, die sich um die Flüchtlinge bemüht haben und bemühen, von der Sozialdemokratin Kolat über die Christdemokratin Barbara John, die an den Verhandlungen beteiligt war, bis zur grünen Bürgermeisterin Monika Herrmann, ein großes Unbehagen über die deutsche Asylpolitik gibt. Dieses Unbehagen wird nicht kleiner, wenn man auf das geltende Recht und auf die „Einzelfallprüfung“ verweist. Es ist Zeit, über Asylpolitik neu zu diskutieren – in Berlin, womit die Bundeshauptstadt gemeint ist.

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