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Meinung: Die Geister, die er rief

Ariel Scharon muss mehr tun, als nur Siedlungen aufzulösen

Von Clemens Wergin

Es ist vielleicht das erste Mal in Ariel Scharons politischer Karriere, dass ihm die Linken und Friedenswilligen in Israel die Daumen gedrückt haben. Sein Plan zur Aufgabe von Siedlungen in Gaza und einigen in der Westbank ist zwar alles andere als perfekt. Es ist aber im Moment die einzige Initiative, die für Bewegung sorgen könnte im festgefahrenen Nahostkonflikt. Zudem bedeutete Scharons Plan einen ernsthaften Bruch mit der maximalistischen Siedlerideologie auch in seiner eigenen Partei. Doch die 53 000 Likudmitglieder, die gegen den Plan gestimmt haben – nicht einmal ein Prozent der israelischen Bevölkerung – haben gespürt, dass Scharon hier das Ende einer Ära einläuten wollte. Sie haben sich verweigert. Auch weil sie fürchteten, dass es am Ende nicht beim Rückzug aus Gaza bleiben wird. Dass der Verzicht auf Siedlungen einen Präzedenzfall schaffen, eine eigene Dynamik enfalten würde. Zumal der Siedlerideologie nun gerade von einem ihrer Väter so heftig zugesetzt wurde.

Scharon hatte noch vor einem Jahr gesagt, Nezarim – eine isolierte jüdische Siedlung in Gaza – sei genauso verteidigenswert wie Tel Aviv. Jetzt will er Nezarim aufgeben, um Tel Aviv besser schützen zu können. Allein: Der Zauberlehrling wird die rechten Geister nicht los, die er einst rief. Seine Partei machte nicht mit – und hat die alte israelische Weisheit aus Menachem Begins Zeiten wiederlegt, dass nur die Rechte in Israel den Frieden schließen kann, weil sie die Radikalen einzubinden vermag.

Kein Zurück

Noch ist unklar, wie es weitergeht. Nach dem verlorenen Referendum hat Scharon gesagt, „das israelische Volk hat mich nicht gewählt, um vier Jahre lang untätig herumzusitzen“. Es ist also durchaus möglich, dass Israels Premier nur einige kosmetische Korrekturen an seinem Plan vornimmt, sich ansonsten aber über das Parteivotum hinwegsetzt und auch seine Regierung umbildet. Weitermachen, als habe es nie einen Gaza-Plan gegeben, kann er jedenfalls nicht. Die weltliche Schinui-Partei hat schon angekündigt, aus der Koalition auszutreten, wenn Scharon dem Votum seiner Partei folgt. Und wie stets bietet auch Schimon Peres die Dienste seiner inzwischen sehr geschrumpften Arbeitspartei an, um den Abzugsplan zu retten.

Auch US–Präsident George W. Bush wäre „not amused“, sollte Scharon seine Initiative nun zurückziehen. Noch vor zwei Wochen ist er Israels Regierungschef weit entgegengekommen, um einen positiven Ausgang des Referendums zu unterstützen. Er ist das Risiko eingegangen, die US-Regierung als einseitigen Parteigänger Israels dastehen zu lassen. Das Likud-Referendum ist somit nicht nur eine Niederlage für Scharon, sondern auch für Bush. Nun muss Scharon seinerseits etwas tun, um Bush nicht allzu schlecht aussehen zu lassen.

Wer dem Frieden ein Stück näher kommen will, muss jetzt Scharon gegen seine eigene Partei den Rücken stärken. Der israelische Teilrückzug ist sicher nicht ausreichend, aber er ist notwendig. Die Rabins, Peres’ und Baraks hatten in den guten 90er Jahren zwar mit den Palästinensern verhandelt. Aber an den harten Realitäten „on the ground“ haben sie nichts geändert. Im Gegenteil, die Siedlungen wurden kräftig ausgebaut. Scharons Initiative nimmt den umgekehrten Weg: Er will nicht verhandeln, aber Siedlungen auflösen. Für einen wirklichen Frieden mag das zu wenig sein. Aber eins ist klar: Eine einmal geräumte Siedlung im Gaza-Streifen ist so einfach nicht mehr aufzubauen. Und das ist schon einiges wert.

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