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Kontrapunkt: Die Grünen brauchen Joschka Fischer - aber nicht als Kanzler

Na klar, ein Überflieger ist Joschka Fischer. Eine Art Beckenbauer der deutschen Politik. Einer, der alles kann. Auch Kanzler. Aber so einfach ist es nicht.

Joschka Fischer geht immer. Jetzt erst wieder im Kino in einer Huldigung von Regisseur Pepe Danquart. Immerhin 36 Prozent der Deutschen können sich laut einer Umfrage vorstellen, dass Joschka Fischer auch Kanzler kann. Unter den Anhängern von SPD und Grünen soll es sogar jeder Zweite sein. Wenn Fischer nicht aufpasst, entwickelt er sich noch zu einer Art Franz Beckenbauer der Politik - einer, der alles kann. Ein Polit-Kaiser.

Ein schrecklicher Gedanke - wohl sogar für ihn selbst. Er hat genug damit zu tun, der Helmut Schmidt der Grünen zu werden. Mehr sollte es nicht sein. Denn Joschka Fischers Zeit ist vorbei. Punkt. Auch wenn es verlockend ist für einige Grüne, ihn ins Spiel zu bringen. Seine Beliebtheitswerte sind immer noch gut. Ganz davon abgesehen, was passieren würde, wenn er mal wieder Appetit bekäme, Blut leckt, irgendwo auf einem vollen Marktplatz steht, den drohenden Weltuntergang mit scharfen Angriffen auf Schwarz-Gelb paart und alle in Grund und Boden redet. Wenn er plötzlich wieder Feuer fängt. Es wäre zudem die einfache Lösung, vermeintlich risikofrei. Denn was soll schon passieren. Klappt es, haben die Grünen einen erfahrenen Regierungspolitiker im Kanzleramt, der vermutlich keine lange Eingewöhnungszeit bräuchte. Klappt es nicht, wäre keiner aus der ersten Reihe der amtierenden Grünen beschädigt, sondern es verschwindet nur einer, der sowieso schon weg war.

Doch so einfach ist es nicht. Ganz abgesehen davon, dass sich Fischer selbst vermutlich niemals der Gefahr aussetzen würde, so abtreten zu müssen: mit einer zweiten Niederlage nach 2005. Außerdem will Fischer nicht mehr. Schon nach der Wiederwahl 2002 wollte er Berlin am liebsten gegen Brüssel tauschen. Warum sollte er jetzt noch einmal Lust haben, in Berlins politische Mitte zu ziehen. Außerdem, bei aller Beliebtheit, ist Fischer kein Selbstläufer mehr. Auch er ist verknüpft mit der abgewählten rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder. Auch über ihn ist die Zeit hinweggegangen. Er hält, so hat er es jüngst gesagt, Cem Özdemir für zu jung. Das mag sein. Aber, mit Verlaub, Fischer ist zu alt. Nicht unbedingt an Lebensjahren, aber er hat - so grotesk es klingt - fast zu viel Erfahrung. Alle Häutungen hat er mitgemacht. Alle Härten erlebt. Woher soll der Biss, der Wille, die Leidenschaft für dieses Amt kommen, wenn man diese politische Vita schon vorzuweisen hat?

Außerdem, was soll der Grünen-Wähler davon halten, wenn sich das aktuelle Personal nicht in die erste Reihe traut. Sie werden sich trauen, davon ist auszugehen. Denn Macht- und Regierungswillen haben sie von Fischer eingeimpft bekommen. Das können sie - egal, ob rechts oder links im Grünenspektrum. Nur die Grünen wären klug beraten, wenn sie nicht gleich in die Westerwelle-Falle tappen und einen zum Kanzlerkandidaten ausrufen. Eine grüne 25 - synonym für die 25 Prozent, die reichen könnten zur Kanzlerschaft - wird sich, das ist wohl sicher, niemand unter die Birkenstock-Schuhe kleben. Die Grünen werden abwarten. Aber wenn es soweit ist, könnte Fischer trotzdem nochmal wichtig werden. Nicht als Kanzler, aber als einer, der ihn mitmacht. Fischers Einfluss bei den Grünen ist sicher nicht mehr der allergrößte. Aber ein grüner Kanzlerkandidat gegen den Willen Fischers ist zumindest nicht ratsam. Und ein Kanzlerkandidat mit einem Fischer an der Seite, das kann für Sozialdemokraten und Union ein gefährliches Duo werden.

Sogar alte Wunden könnte der alte Realo heilen, wenn er sich für einen Parteilinken, sagen wir Jürgen Trittin einsetzt. Der Erfolg der Grünen aber, der hängt längst nicht mehr an Joschka Fischer. Der hängt an der Relativität der grünen Lehre. Widergespiegelt an Aussagen wie diesen von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer: "Reine grüne Lehre ist, dass man Ruhestörungen in den Städten allein mit Prävention und Dialog in den Griff bekommt. Wer wie ich eine Ortspolizeibehörde leitet, weiß, dass das nicht stimmt. Es gibt wesentlich mehr Bürger, die bei Nacht in Ruhe schlafen wollen, als solche, die das Prinzip der Repressionsfreiheit für alkoholisierte Krakeeler verteidigen." Dagegen würden sich vermutlich nicht einmal linke Grüne stellen. Zumindest nicht solche, die Kanzler werden wollen.

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