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Die Grünen, der Castor und S 21: Das walte Kretschmann

Selbst für erfahrene Multitasker unter den Grünen kam zu viel zusammen. Der ökologische Vorzeigeaktivist hätte am liebsten gleichzeitig auf dem Parteitag in Kiel Plastiktüten abgeschafft und die Steuern erhöht, im Wendland bei einem Riesen-Happening den Castor-Transport blockiert sowie sich spätestens am Nachmittag in Baden-Württemberg auf den Ausgang der Volksabstimmung gegen Stuttgart 21 vorbereitet.

Von Hans Monath

Selbst für erfahrene Multitasker unter den Grünen kam zu viel zusammen. Der ökologische Vorzeigeaktivist hätte am liebsten gleichzeitig auf dem Parteitag in Kiel Plastiktüten abgeschafft und die Steuern erhöht, im Wendland bei einem Riesen-Happening den Castor-Transport blockiert sowie sich spätestens am Nachmittag in Baden-Württemberg auf den Ausgang der Volksabstimmung gegen Stuttgart 21 vorbereitet. Angesichts der dürftigen Erfolgsaussichten wahrscheinlich eher mit gedämpften Gefühlen.

Weil alle drei Aufgaben schlecht zu bewältigen waren, bejubelten sich grüne Castor-Blockierer im Wendland und die grünen Delegierten in der Halle in Kiel per Fernsehübertragung. Man hätte darüber fast vergessen können, dass der Protest längst mehr mit stark leiernder Parteitagsfolklore als mit echter Politik zu tun hat. Seit der Atomausstieg ebenso wie die ergebnisoffene Endlagersuche nationaler Konsens sind, darauf hatte Winfried Kretschmann zaghaft hingewiesen, braucht man nicht mehr zu demonstrieren.

Bei der Stimmauszählung des Volksentscheids zu Stuttgart 21 ging es dann um eine existenzielle Frage: Da die Gegner des Tiefbahnhofs an dem hohen Quorum scheitern, muss die Landesregierung das Baurecht der Bahn notfalls gewaltsam durchsetzen. Die militanten Bahnhofsgegner fühlen sich deshalb verraten, Bahn und Bahnfreunde werden Kretschmann dagegen genüsslich als Verlierer vorführen. Wieder einmal dürfte die Ökopartei in diesem Fall erleben, dass grünes Regieren fast zwangsläufig Enttäuschungen provoziert, weil Anspruch und Wirklichkeit oft himmelweit auseinander liegen. Dass Glaubwürdigkeit ein flüchtiges Gut ist, sollte eine Partei ängstigen, die von dieser Ressource lebt.

Ob allerdings der in seinem Land phänomenal beliebte Ministerpräsident Schaden nimmt, ist völlig offen. Wenn der Ausnahmepolitiker die Niederlage nicht wegredet, kann er womöglich präsidial über den Konflikt hinwegkommen. Kretschmann, sagen Spötter, rangiere in den Augen der Menschen mittlerweile gleich nach dem Herrgott. Der Abstand werde immer kleiner. Dieser Vertrauensbeweis gilt freilich nur für Kretschmann allein, für keinen anderen Grünen aus seinem Kabinett und erst recht nicht für die grüne Bundespartei.

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