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Meinung: Die Illusion gefeuert

Clement schlägt vor, was längst Realität ist: Kündigung mit Entschädigung

Von Antje Sirleschtov

Die Gewerkschaftsbosse stehen auf den Barrikaden. Sie wollen sich mit allen Mitteln wehren, wenn die Regierung auch nur auf die Idee kommt, den Kündigungsschutz anzutasten. Jahrzehnte haben sie für dieses Instrument der Arbeitsplatzsicherheit gekämpft und es schließlich 1998 auch für die Mitarbeiter kleinster Betriebe erstritten. Und nun will ausgerechnet der Wirtschaftsminister einer sozialdemokratischen Partei dieses soziale Sicherungselement wieder kippen? Wer die Antwort der Gewerkschafter darauf hört, erinnert sich an die Massenproteste der Italiener im vergangenen Jahr, als deren Regierung das Gleiche vorhatte.

Der Kündigungsschutz ist ein hohes Gut unserer Gesellschaft, da haben die Gewerkschafter Recht. Gerade in wirtschaftlich unsteten Zeiten gibt er den Beschäftigten ein Stückchen Sicherheit, nicht schutzlos dem Auf und Ab der Konjunktur ausgeliefert zu sein. Mit flexibleren Regelungen bei befristeten Arbeitsverhältnissen und mehr Spielraum für Zeitarbeit haben die Arbeitgeber gerade erst mehr Möglichkeiten erhalten, die Qualifikation eines Mitarbeiters zu prüfen, bevor sie ihn letztlich einstellen. Geht es dem Unternehmen wirtschaftlich schlecht, ist es aber gerade der Kündigungsschutz, der die Arbeitnehmer auf Augenhöhe mit dem Unternehmer hebt und beide zwingt, über intelligente Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle nachzudenken statt sich ganz einfach der Hire-and-Fire-Methode zu bedienen.

Und dennoch muss das Arbeitsrecht jetzt diskutiert werden. Denn dieses Land hat festgestellt, dass nicht jedes Netz, das in der Vergangenheit eingezogen wurde, zu mehr Wohlstand und sozialer Sicherheit beigetragen hat. Vier Millionen Menschen wurden gekündigt, obwohl es den Schutz des Gesetzes gibt. Und nicht wenige von ihnen finden jetzt keinen neuen Arbeitsplatz mehr, weil es diese Bestimmungen gibt.

Was muss man also tun? Wenn sich die allgemeine Empörung darüber gelegt hat, dass Clement ein Tabu gebrochen hat, dann können sich die Tarifpartner gemeinsam mit der Regierung ein Bild über die tatsächliche Lage machen. Dann werden sie feststellen, dass sich Unternehmer und Mitarbeiter in weiten Teilen der Wirtschaft längst ihre eigenen Regeln bei Kündigungen geschaffen haben. Sie tragen diesen Konflikt zu tausenden vor den Arbeitsgerichten aus. Und einigen sich im Streitfall meist auf eine Abfindung. Das bewahrt die Arbeitnehmer davor, bei erster Gelegenheit vor die Tür gesetzt zu werden. Und es hilft den Unternehmern, sich bei Bedarf von Mitarbeitern zu trennen.

Doch man wird auch sehen, dass der Kündigungsschutz zum Beschäftigungshindernis geworden ist. Nicht beim Mittelstand und in der Großindustrie. Wohl aber bei Handwerkern, Händlern und Selbstständigen. Sie alle haben kaum betriebswirtschaftlichen Spielraum, wenn mal ein Auftrag ausbleibt oder ein Kunde nicht zahlt. Dann müssen sie sofort Personalkosten reduzieren – oder sie setzten den ganzen Betrieb aufs Spiel. Verständlich, dass sie lieber Minijobber einstellen als einen sechsten festen Mitarbeiter. Ihnen – und denen, die längst einen Arbeitsvertrag hätten, wenn es die starren Regeln nicht gäbe – wäre mit einer Flexibilisierung im Arbeitsrecht geholfen. Warum sollten Bäcker ihren Verkäuferinnen nicht freistellen, ob sie im Arbeitsvertrag lieber Kündigungsschutz oder Abfindung festschreiben wollen? Dann könnten die kleinen Unternehmen das Risiko kalkulieren, die Arbeitnehmer wären abgesichert und auch die Arbeitsgerichte entlastet.

Gerade ein Sozialdemokrat wie Clement darf sich um dieses Thema nicht herummogeln. Denn von einem wie ihm erwarten die Menschen Veränderung ohne Aufgabe der sozialen Sicherheit. Zwölf Projekte hat Clement für dieses Jahr angekündigt. Eines davon ist der Kündigungsschutz. Mag sein, dass er den politischen Widerstand von Gewerkschaftern und eigenen Genossen diesmal nicht überwinden kann. Aber wenn schon. Beim nächsten mal klappt’s bestimmt. Und auch sechs von zwölf Reformen wären für dieses Land schon ein guter Schnitt.

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