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Meinung: Die Ironie und die Gene: Warum Politik und Jugend - noch - nicht zueinander finden

Die Politik gibt sich gern den Anstrich, alles zu verstehen. Nur bei der Jugend wirken die Politiker offen ratlos.

Die Politik gibt sich gern den Anstrich, alles zu verstehen. Nur bei der Jugend wirken die Politiker offen ratlos. Sie wissen, dass sie sie brauchen, als Partei- und als Wahlvolk. Aber sie finden nur schwer einen Weg zu diesen unbekannten Wesen. Grob gesprochen teilen sich die jungen Menschen aus Sicht der Politik in Falschpolitische und Unpolitische - die in der NPD und die, die man nicht sieht: die Generation, die mal Golf, mal X, mal Viva heißt und von der gesagt wird, sie interessiere sich nicht für Politik. Eine Jugend, die keine Werte, keine Überzeugungen hat und deshalb für die Politik verloren sei. Eine Jugend, die aber Sehnsüchte hat, was es für die Rechte so einfach mache, sie zu fangen. Aber ist das so?

Kürzlich war Michel Houellebecq in der Volksbühne. Ein französicher Schriftsteller, der über ein neues Menschenbild sprechen sollte - und das Theater platzte regelrecht aus allen Nähten. Die meisten, die sich da in den Saal quetschten, waren zwischen 20 und 30 und wollten über Gentechnik diskutieren. Später sollte Houellebecq noch mit seiner Band spielen. Die Karten dafür wurden getrennt verkauft. Wer also nur zum Konzert wollte, konnte auch das tun. Schon für die Diskussion waren alle Karten ausverkauft. Dass Houellebecq dann gar nicht kam und einen Biochemiker, einen Medientheoretiker und einen Zoologen alleine diskutieren ließ, war zwar ärgerlich - aber die Leute blieben trotzdem.

Öko-Laden und Prada-Mode

Wer sind bloß diese Menschen, die das Wochenende mit Gentechnik einläuten? Sie sind ein Teil eben jener, so genannten unpolitischen Generation, von der man annimmt, sie sei nur auf Geld und Spaß aus. Eine ironische Generation, die zwar alles sagt, aber nichts so ernst meint, wie sie es sagt. Das passt ins Fernsehen, in die Wirtschaft und die Kunst, nur nicht in die Politik.

Das vorherrschende Lebensgefühl dieser Generation ist ein Unbehagen. Unbehagen auch über die eigene Ironie. Das Leben in der postmodernen Medienwelt ist ihr zu kompliziert, sie will die Dinge so erleben, wie sie sind. Die Jungen sind offenbar auf der Suche nach Authentizität, nach einem eigenen Verhältnis zu den Dingen. Sie möchten sich nicht vorschreiben lassen, was sie über Deutschland, Juden, Ausländer, die Ehe oder Gott denken sollen. Die alten, moralisch überfrachteten Bedeutungen und Begrenzungen der Themen sind ihnen nicht cool genug - sie passen nicht zum Lebensstil einer Generation, für die Ecstasy und Ehe, Kinder und Cabrio, Öko-Laden und Prada-Mode keine Widersprüche sind. Die konservative Sehnsucht nach Wärme und Sicherheit ist so stark wie nie. Sie lässt sich aber nur ertragen in einem schnellen und schillernden Stil. Also werden Schleich- und Umwege ins Konservative gesucht. Über neue Idole und eine andere Sprache. Die finden viele bei Zladko und Jürgen, nicht wenige bei Houellebecq und zu viele bei der rechten Jugendkultur.

Und die Politik? Sie sieht nur, was auf der politischen Bühne ankommt, bei der NPD, und übersetzt das Unbehagen der jungen Generation einfallslos mit einem Unbehagen an der Multikultur. Dabei wäre es eine Chance für die Politik, auch die anderen Spielstätten der Jugendkultur zu betrachten, um die jungen Menschen dort anzusprechen: etwa die Gentechnik. Oder die Verbindung von Mensch und Computer.

Die Politik scheint diese Chance nicht zu sehen. Oder will sie nicht sehen, weil die Generation 50 plus sich bei diesen neuen Themen und dem jungen Ton nicht sicher fühlt. Nicht so sicher wie mit der deutschen Leitkultur. Sie überlässt die junge Generation dem echten Leben von Big Brother oder dem neonazistischen Pathos der Einfachheit - oder eben der Volksbühne.

Anderspolitisch

Das Missverständnis liegt vielleicht dort: Die junge Generation hat sich in ihr Privatleben zurückgezogen, sie tritt, außer auf der Love Parade, nicht mehr so öffentlich auf wie in den 80er Jahren. Und sie ist vor allem an Lifestyle interessiert. Auch darin liegt eine Möglichkeit. Lifestyles sind die Kollektivkulturen der Jungen, mit deren Symbolen sie Position beziehen. Mit Houellebecq zum Beispiel, der Moralist mit dem Lebensstil eines Rockstars, der Katholik, der im Nebenberuf Pornofilme dreht. Die offizielle Politik ignoriert, dass auch dies mit politischer Willensbildung zu tun hat.

Politik muss genau dort hinschauen. Denn dort findet sie die Motive und Themen, die der Frage, was diesen Teil unserer Gesellschaft zusammenhält, neue Inhalte geben könnte. Die junge, die anders politisierte Generation müsste sich dann nur noch selbst darüber bewusst werden, dass das, was sie da macht, nicht nur Lifestyle ist, sondern ein im Ansatz politisches Verhalten. Und dann müssen sich die Politiker nicht mehr auf Rollerblades und auf der Big-Brother-Couch ziemlich uncool vor der jungen Generation entblößen, um den Dialog aufzunehmen. Beide Seiten könnten sich dann etwas ernster nehmen. Und nicht nur ironisch.

Kerstin Kohlenberg

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