zum Hauptinhalt
Auf Utöya richtete Anders Behring Breivik den größten Schaden an: Mit einer Automatikwaffe und einer Pistole, für die er einen Waffenschein hatte, erschoss er 68 Menschen.

© Reuters

Die Lehren aus Norwegen: Nur ein schärferes Waffenrecht kann Täter stoppen

68 Menschen erschoss Anders Behring Breivik auf der Insel Utöya. Er war Mitglied im Schützenverein. Das Massaker in Norwegen zeigt: Statt des Internets sollte der private Waffenbesitz in Europa besser überwacht werden.

Als Reaktion auf den Anschlag in Norwegen fordern konservative Bundestagsabgeordnete erneut die Vorratsdatenspeicherung und eine verstärkte Überwachung des Internets. Für Siegfried Kauder (CDU) sind die damit verbundenen Eingriffe in die Privatsphäre durch die notwendige Gefahrenabwehr gerechtfertigt: „Es ist Mode geworden, die Freiheitsrechte des Bürgers in den Vordergrund zu stellen.“ Sein Mitstreiter Hans-Peter Uhl (CSU) sieht im weltweiten Netz sogar die Mutter des Bösen: „In Wahrheit wurde diese Tat im Internet geboren.“

Doch die Rechnung, dem Bürger durch mehr Bespitzelung mehr Sicherheit zu erkaufen, geht nicht auf. Der norwegische Massenmörder Anders Breivik hat der Welt gerade bewiesen, dass ein skrupelloser Einzeltäter durch jedes, auch noch so enges Überwachungsnetz schlüpfen kann. Die Anleitung dafür steht haarklein in seinem 1516 Seiten langen „Manifest“, mit dem er leider auch eine Blaupause für künftige Anschläge ins Netz gestellt hat.

Wer eine „Operation“ plant, ist dort zu lesen, muss zu allererst seine Aktivitäten für die Sicherheitsbehörden unsichtbar machen, um auf keiner „Beobachtungsliste“ aufzutauchen. Dabei helfen frei verfügbare Programme, mit denen beim Surfen im Internet die eigene IP-Adresse maskiert wird. Besondere Vorsicht sei geboten bei der Recherche nach Bombenrezepten und anderen Stichwörtern, die bei den Überwachungsbehörden elektronischen Alarm auslösen können. Breivik empfiehlt, dafür einen nicht registrierten Laptop zu kaufen und sich an öffentlichen Hotspots einzuloggen. Beim Schreiben von E-Mails und Facebook-Nachrichten sollte der künftige Attentäter immer davon ausgehen, dass sie mitgelesen werden. Radikale politische Äußerungen und Kontakte zu möglicherweise überwachten Gesinnungsgenossen sind tabu. Auf konspirativen Reisen dürfen keine Kreditkarten verwendet werden, Mautstationen sind wegen der Überwachungskameras ebenfalls zu meiden. Aus Handys sind die Akkus zu entfernen, weil sie auch im ausgeschalteten Zustand geortet werden können. Für Freunde und Nachbarn sollten plausible Erklärungen für das „geänderte Verhaltensmuster“ erfunden werden. Weil jeder Mittäter die Gefahr des Erkanntwerdens um 100 Prozent erhöht, gilt als oberste Regel: „Mache absolut alles selbst.“

Ein Täter wie Breivik, der sich alleine und akribisch geplant neun Jahre lang vorbereitet, ist durch Vorratsdatenspeicherung und Überwachung der privaten Kommunikation nicht zu stoppen.

Es gibt jedoch eine andere Möglichkeit, derartige Taten zu erschweren: Die meisten Anschläge werden mit Bomben oder Schusswaffen verübt. Obwohl die EU das Chemikalienrecht in den vergangenen Jahren erheblich verschärft hat, werden Grundstoffe für den Bombenbau nach wie vor unzureichend überwacht. In Deutschland haben die in Verbänden organisierten Chemikalienhändler deshalb seit 2008 ein „Monitoring“ organisiert, bei dem private Käufer strenger überprüft und verdächtige Kaufversuche der Polizei gemeldet werden. Doch die Teilnahme ist freiwillig und gilt nur für deutsche Händler. Breivik konnte in Polen tonnenweise Ammoniumnitrat-Dünger kaufen, indem er sich als Landwirt ausgab.

Im Gegensatz zu professionellen Sprengstoffen, wie TNT oder Semtex, werden für selbst gebastelte Sprengsätze in der Regel sehr große Chemikalienmengen benötigt (die Bombe von Oslo wog eine halbe Tonne). Eine europaweite Überwachung größerer Lieferungen von Nitratdünger, Wasserstoffperoxid und anderen „Dual-use-Chemikalien“ wäre deshalb sowohl sinnvoll als auch praktikabel.

Die meisten Mordopfer kommen jedoch, auch weltweit, durch Schusswaffen um. Die aufwendige Bombe von Oslo tötete acht Menschen, im Kugelhagel auf der Insel Utöya starben 68. Breivik benutzte eine großkalibrige Glock 17 Pistole und ein halbautomatisches Gewehr vom Typ Ruger Mini-14. Er hatte einen Berechtigungsschein und trainierte im Schützenclub.

An eine EU-weite Verschärfung des Waffenrechts ist jedoch nicht zu denken, Waffenbesitz gilt als Kulturgut. Wenn es um den privaten Waffenbesitz geht, sind die Freiheitsrechte der Bürger auch bei konservativen Politikern in Mode.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false