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Meinung: Die Mär vom bösen Stromkartell

Energiepreise bilden sich nach Angebot und Nachfrage – auch bei uns Von Peter Terium

Die Politik will die Menschen glauben machen, durch mehr Regulierung und strengeres Kartellrecht Marktmechanismen beim Strom außer Kraft setzen zu können – ein Trugschluss.

Blicken wir zurück. Liberalisierte Strommärkte sollten Wettbewerb und sinkende Preise bieten. Das war die Botschaft – griffig, aber falsch. Denn heute bilden sich Strompreise nach Angebot und Nachfrage im Großhandel und an den Börsen. Hier herrscht simple Ökonomie, kein Wunschdenken. Die Nachfrage ist groß, die Kapazitäten knapp. Und warum wird Strom teilweise in längst abgeschriebenen Kraftwerken produziert, aber zu weitaus höheren Börsenpreisen verkauft? Strom ist ein austauschbares Produkt wie Benzin, und gerade kein hochwertiger Markenartikel: Wer heute bei BP tankt, tankt morgen bei Shell; wer aber Taschen von Vuitton bevorzugt, wird nicht zum Wühltisch gehen. Für die Strompreisbildung spielt es daher keine Rolle, ob Kohle, Kernkraft, Gas oder Wind draufsteht. Entscheidend ist, welches Kraftwerk die letzte Kilowattstunde herstellt, die man braucht, damit die Lichter nicht ausgehen.

Diesen markträumenden Preis setzt in Deutschland fast immer ein Steinkohle- oder Gaskraftwerk. Kohle und Gas unterliegen weltweiten Preissteigerungen. Jeder Kraftwerksbetreiber handelt unwirtschaftlich, wenn er nicht alles zu diesem markträumenden Preis verkauft. Diese ökonomischen Zusammenhänge ziehen wir bei Benzin oder Öl nicht in Zweifel, beim Strom schon. Doch der Preis für solche Güter bemisst sich nicht daran, zu welchen Bedingungen und zu welchen Kosten sie produziert werden können.

Wie verhält es sich mit Investitionen? Neue Kraftwerke werden nur dann gebaut, wenn die Großhandelspreise über den Vollkosten des Kraftwerksbetriebs liegen. Das sind alle Kosten, die innerhalb der 40-jährigen Laufzeit von Kraftwerken entstehen und mit dem Stromverkauf erwirtschaftet werden müssen. Erst das derzeitige Preisniveau im deutschen Stromhandel macht den Bau neuer Kraftwerke wirtschaftlich.

Wer jetzt nach mehr Regulierung ruft, wird Investitionen in moderne Technik und Versorgungssicherheit verzögern oder verhindern. Will die Politik das? Als Stromhändler setze ich auf ökonomische Vernunft. Selbst die Europäische Kommission sagt: der Stromhandel bringt mehr Liberalisierung, mehr Wettbewerb. An der Strombörse EEX in Leipzig etwa sind mehr als 150 Unternehmen aus 19 Ländern aktiv. Nirgendwo anders in Europa gibt es so viele Käufer und Verkäufer von Strom. Zwei Drittel kommen aus dem Ausland. Die Zahl der Nettostromverkäufer an der EEX liegt jeden Monat zwischen 40 und 70 Handelsteilnehmern. Und die Stromhandelspreise in Deutschland sind keineswegs europäische Spitze: Ende September musste man in Leipzig für die Lieferung im nächsten Jahr rund 54 Euro je Megawattstunde zahlen, etwa gleich viel wie in Frankreich und Skandinavien. In den Niederlanden waren es mehr als 63 Euro, in Großbritannien über 66 Euro. Außerdem hat der Großhandel für mehr Wettbewerb im deutschen Strommarkt gesorgt. Jeder Stromkunde kann davon profitieren. Seit 1998 haben zwölf Millionen Haushalte günstigere Stromverträge abgeschlossen, in der Industrie haben praktisch alle Kunden einen neuen Vertrag. Der Markt hat die Möglichkeiten erst geschaffen: Preise zu vergleichen, schnell und unkompliziert den Anbieter zu wechseln. Beispiel Berlin: Hier kann man als Haushaltskunde zwischen 27 Lieferanten wählen und bis zu 200 Euro pro Jahr sparen. Dieser Wettbewerb schafft den Nährboden für Investitionen.

In den nächsten Jahren sollen in Deutschland rund 30 Kraftwerke gebaut werden, rund ein Fünftel der Gesamtkapazität des Landes. Die Hälfte kommt von Unternehmen, die neu auf dem deutschen Stromerzeugungsmarkt sind. Das Vertrauen in funktionierende Märkte ist da. Populistische Fehlschlüsse wären verhängnisvoll.

Der Autor ist Geschäftsführer der RWE Trading, die im internationalen Energiehandel tätig ist.

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