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Meinung: Die neue Mitte bleibt neu Von Tissy Bruns

Kein Hauch von Verratsverdacht umweht die Mittelschichten-Offensive, die Kurt Beck der SPD vorschlägt. Gerhard Schröders „neue Mitte“ schien vielen Sozialdemokraten als Abkehr von den „kleinen Leuten“ und damit von der Gerechtigkeit.

Kein Hauch von Verratsverdacht umweht die Mittelschichten-Offensive, die Kurt Beck der SPD vorschlägt. Gerhard Schröders „neue Mitte“ schien vielen Sozialdemokraten als Abkehr von den „kleinen Leuten“ und damit von der Gerechtigkeit. Begrifflich stammt die „neue Mitte“ aus Willy Brandts Zeiten. Und nicht erst seit Godesberg, schon in der Weimarer Republik träumten Sozialdemokraten vom großen Bündnis aus Arbeiterschaft und Mittelschichten. Wenn Kurt Becks Satz, wonach Leistung sich wieder lohnen müsse, als „Kurswechsel“ wahrgenommen wird, dann drückt sich darin zunächst nur die vollständige Verwirrung darüber aus, was das eigentlich ist: Sozialdemokratie.

Die ist entstanden, weil Millionenheere von schwer arbeitenden Leistungsträgern einen gerechten Anteil forderten: Bildung, Wohlstand, vor allem politische Freiheiten. Aus der barmherzigen Armenhilfe der vorindustriellen Gesellschaft entwickelte sich ein Gerechtigkeitsbegriff, der Millionen Menschen Bildung, Wohlstand, Freiheiten als gesellschaftliches Recht garantierte.

Diese SPD war kein Wohltätigkeitsverein. Sie wollte und erreichte Emanzipation durch Leistung und Aufstiegswillen. Ihre Verwirrung ist Resultat ihrer Erfolge. Denn am Ende der Industriegesellschaft öffnete sich eine Schere zwischen denen, deren soziale Rechte auf eigener Leistung aufbauten und den wachsenden Heerscharen, die von staatlicher Hilfe abhängig wurden. Den inneren Zusammenhang zwischen den Erfolgen der ersten und den Niederlagen der zweiten Gruppe verdrängte die SPD, indem sie sich mangels politischer Konzepte zur Schutzmacht der „kleinen Leute“ erklärte. Tatsächlich hat sie den Kontakt zu den Milieus der Benachteiligten verloren – so wie diese den alten Aufstiegswillen der „Underdogs“. Es kann nicht darum gehen, dass die SPD die Mittelschichten anstelle der alten Stammwähler entdeckt. Wenn Kurt Becks Initiative als Aufforderung verstanden wird, Aufstiegstraum und Bildungsehrgeiz als Leitbilder wieder zu entdecken, dann hat er der SPD einen Impuls gegeben.

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