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Die neue Pisa-Studie: Nicht mehr ungenügend

Der Pisa-Schock von vor neun Jahren saß und sitzt. Schwer vorstellbar, was passiert wäre, wenn Deutschland bei der jüngsten Studie keine Fortschritte erzielt hätte.

Weiß noch jemand, wie sich das anfühlte – Deutschland in den Zeiten vor Pisa? Als der Kindergarten als Bastelklub für Kinder berufstätiger Mütter galt, die Grundschule eine reine Vormittagsveranstaltung war und die Hauptschule als notwendiges Übel angesehen wurde? Als man glaubte, der Exportweltmeister Deutschland könne gar nichts anderes haben als leistungsfähige Schulen? Und als man dachte, Migrantenförderung sei etwas für Sozialtanten …

Nur neun Jahre ist das her und wirkt doch so fern wie die Mondlandung. Neun Jahre haben gereicht, um das bildungspolitische Bewusstsein Deutschlands komplett rundzuerneuern – von Rosenheim bis Flensburg, von Saarbrücken bis Meißen. Der Pisa-Schock saß und sitzt.

Schwer vorstellbar, was passiert wäre, wenn Deutschland bei der jüngsten Pisa- Studie keinen Fortschritt erzielt hätte. Wenn alle Anstrengungen umsonst gewesen wären. Es wäre Deutschland gegangen wie einem Kind, das Tag und Nacht paukt und dennoch eine Fünf schreibt. So ist es immerhin eine Drei geworden, die der beglückten Öffentlichkeit am Dienstag präsentiert wurde.

Ja, es ist schön, dass die stärkste Volkswirtschaft Europas neuerdings bei der Schlüsselqualifikation des Lesens im weltweiten Vergleich immerhin Mittelmaß erreicht. Ja, es ist erfreulich, dass die Risikogruppe, die nicht ausbildungsfähig ist, von über 20 auf knapp unter 20 Prozent leicht geschrumpft ist. Da kommt Freude auf – bei denen, die dem deutschen Kind Mut machen wollen. Die anderen fragen sich, ob das schon alles war, und merken an, dass ein reiches Land mehr schaffen sollte.

So streng kann man sein. Muss man aber nicht. Denn für ein hochkompliziertes Gebilde wie das Schulwesen eines großen und föderalen Staates mit rund zwölf Millionen Schülern und 700 000 Lehrern ist schon ein scheinbar kleiner Fortschritt mehr als viele Forscher erwartet hätten. Denn dieser Fortschritt ereignete sich trotz eines Anstiegs von Hartz-IV- und Migrationsproblemen und trotz aller Überlastung und Überhitzung, die durch die Vielzahl der zum Teil auch überhasteten Reformen ausgelöst wurde.

Längst nicht alle Reformen haben die aktuell Getesteten schon erreicht. Sie waren mitten im ersten Pisa-Schock eingeschult worden. Alles, was sich um die Verbesserung der Kita-Arbeit rankt, konnte bei den heute 15-Jährigen noch nicht greifen. Deshalb hat der jetzt erzielte Fortschritt auch damit zu tun, dass sich das Bewusstsein für den Stellenwert von Sprache und Bildung erhöht hat: in der Bevölkerung, bei den Eltern, bei den Lehrern.

Und an den Kabinettstischen. Ohne die allererste, niederschmetternde Pisa- Studie von 2001 würden die Bildungsminister noch immer als Soft-Politiker belächelt. Ohne die drastischen Appelle der OECD hätten die Finanzminister ihre Schatullen nicht so stark geöffnet wie sie es für den Ausbau der Ganztagsschulen, für die zusätzliche Sprachförderung, für Mütterkurse und Sozialpädagogen an Schulen mussten. Ohne den Schock gäbe es heute aber auch nicht Tausende Lesepaten in deutschen Schulen.

Nun also sind die Weichen gestellt – und die Arbeit kann weitergehen. Denn die getesteten 15-jährigen deutschen Schüler sind beim so zentral wichtigen Leseverständnis noch immer ein komplettes Schuljahr von den Pisa-Siegern Korea, Finnland und Kanada entfernt. Das hat etwas mit einer anderen Einwanderungspolitik dieser Länder zu tun – aber auch mit einem ganz anderen Stellenwert von Leistungsbereitschaft.

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