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Meinung: Die Placebos des Kurt Beck

Volksparteien brauchen nicht nur die Leistungsträger

Nun streiten sie wieder, was Not tut in unserer Gesellschaft. Soll man die Leistungsträger fördern oder die Armen unterstützen? Soll der Staat zu mehr Gerechtigkeit beitragen oder mehr Freiheit zulassen? Die Fragen sind alte, doch die Antworten bereiten der Politik größeres Kopfzerbrechen als früher. Denn auch wenn die Globalisierung von manchen im Unternehmerlager als Vorwand gebraucht wird, um die eigenen Interessen durchzusetzen, hier hat sie tatsächlich die Welt verändert und straft all jene Lügen, die uns weismachen wollen, dass sie auch für Deutschland ein Glück sei.

Die SPD verdankt ihren Aufstieg dem Aufstiegswillen der vielen Leistungsträger am unteren Rand der bürgerlichen Industriegesellschaft, der Arbeiteraristokratie, die in den Arbeiterbildungsvereinen über einen Anteil am bürgerlichen Bildungsgut den sozialen Aufstieg betrieb. Die Bebel und Liebknecht waren Handwerker, die Bürger werden wollten und teilhaben an neuer sozialer Mobilität. Zurecht hat der viel zu früh verstorbene Peter Glotz immer wieder betont, dass die SPD die Partei der Aufstiegswilligen und nicht des Bodensatzes der Gesellschaft ist. Und ins Katholische, Christliche gewendet, gilt dies auch für die CDU. Doch der Wille bedarf der Möglichkeit und die bot der „geschlossene Handelsstaat“, aufzusteigen in der als Pyramide gedachten Gesellschaft.

Dies hat die Globalisierung zu unseren Lasten gründlich verändert. Es war wiederum Glotz, der pessimistisch davon sprach, dass ein Drittel der Arbeitenden und eine sichere Lebensgrundlage Suchenden dem Tempo einer globalisierten Gesellschaft nicht gewachsen sei und auch nicht in der Lage, die Bildungschancen wahrzunehmen, die ihnen ununterbrochen angeboten werden, da Menschen eben nun einmal nicht gleich, sondern unterschiedlich intellektuell ausgestattet sind. Doch während die mehr oder minder geschlossene Volkswirtschaft auch diesen eine Chance bot, stehen sie heute im Wettbewerb mit Osteuropäern, Indern, Chinesen und anderen in einem Umfeld, dessen Lebensstandard von den Leistungsträgern bestimmt wird. Und hier liegt die eigentliche soziale Aufgabe: Wie sichern wir denen, die mit indischen Löhnen konkurrieren, aber deutsche Mieten zahlen müssen, und die trotz aller theoretischen Bildungsbemühungen niemals den Aufstieg schaffen, ein würdiges Leben? Da helfen weder Eigenverantwortungsphantasien noch Umverteilungsängste. Was die Sozialdemokratie unter Bismarck noch konnte, darauf setzen, dass Reformen einen Wandel zum Besseren bringen, ist heute zum Placebo geworden, die vergebliche Hoffnung auf Bildung als Lösung. Es ist deshalb marktwirtschaftlich bestimmt rational, Mindestlöhne als Jobkiller zu verdammen, gesellschaftlich aber ist es irrational, den Lebensstandard des unteren Drittels so abzusenken, dass es mit allen um jede Arbeit konkurrieren kann. Und wer dann noch die Reduzierung der Arbeitslosenhilfe fordert, um das Lohnabstandsgebot zu wahren, opfert endgültig die Gesellschaft dem Gesetz von Angebot und Nachfrage.

So absurd Lafontaines lautstarke Forderung nach hohen Löhnen für einfache Arbeiten in der einen Welt ist, so menschenverachtend die neoliberale Gegenthese. Es ist eben nicht so, dass alles gut wird, wenn sich der Staat aus der Wirtschaft zurückzieht, da der Markt wohl vernünftig, aber eben nicht verständig ist.

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