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Meinung: Die psychologische Wende

Das Regieren wird schwieriger: Manchem der Partner geht allmählich die Geduld aus

Die Politik der ruhigen Hand. Schluss mit diesem Hin und Her bei der Reformerei. Da musste doch endlich mal Ruhe rein, Verlässlichkeit, und geräuschlos arbeiten sollten die Politiker. Fachdezernenten unter sich. Wenig Lärm um viel.

Und jetzt? Schwillt der Lärm an. Wer gehört hat, wie sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, Angela Merkels CDU-Vize, auf der Jubiläumsveranstaltung der Christlichen Arbeitnehmerschaft über Franz Müntefering, Merkels SPD-Kanzlervize, erregte, kann nicht mehr davon reden, es gehe alles seinen geordneten, ruhigen Gang.

Zu bemerken ist eine psychologische Wende. So ganz allmählich geht manchen Granden der koalierenden Parteien die Geduld aus, die mit den Partnern und den Vorleuten. Wobei die SPD hier insofern noch relative Ruhe hat, als sie schlicht dazu gezwungen ist, sich vorerst zu bezähmen. Kurt Beck kommt gerade ins Amt, und in seiner Klasse haben sie keinen Genossen mehr zum Verschleißen. Schwierigkeiten bekommt Beck auch noch, nur nicht in den ersten paar Tagen. Außerdem, das muss man ihm lassen, hat er zwar einigen auf dem Parteitag zu lang geredet, aber zugleich vielen seiner Partei mit jedem Wort aus der Seele gesprochen. Das Herz schlägt bei der SPD halt doch noch links.

Was umgekehrt auch wieder zu einem Problem für die Union wird, wie man am ersten wirklich wichtigen Abgang der Kanzlerschaft Merkel erkennen kann. Norbert Röttgen ist nicht irgendeiner, kein kleiner Abgeordneter, sondern Erster Fraktionsgeschäftsführer und darüber hinaus einer, mit dem Merkel vor ihrer Wahl alles besprach. Auch das Programm. Jetzt aber hat sich das geändert, grundlegend, und das hat mit zu Röttgens Abschied beigetragen. Wie wohl auch, dass er, dem viel versprochen war, nachher zu den Zukurzgekommenen gehörte. Davon gibt es einige mehr, wie Wolfgang Bosbach zum Beispiel, der Fraktionsvize, der nicht Innenminister und nicht Fraktionschef wurde. Das sind Leute, die im Binnengefüge wichtig werden können, wichtiger als fast alle aus Merkels Frauenzirkel. Und womöglich bald auch gewichtig als Stimmen gegen Fraktionschef Volker Kauder, über den schon so viele Abgeordnete murren. Wehe, wenn sich hier die Loyalitäten lockern.

Gut ist die Entwicklung nicht, nicht in dieser Lage. Denn Merkel benötigt jeden Wichtigen, Großen in der Partei, um dort die politische Wende zu verankern. Von den Herren Roland Koch, Günther Oettinger und Christian Wulff mal zu schweigen – Rüttgers ist der aktuelle Gradmesser. Sein Angriff auf Müntefering („Zyniker“) war auch ein kaum verhüllter auf Merkel. Wie das so ist, fand die dann im Gegenzug kein einziges lobendes Wort für die Arbeitspolitik à la NRW. Hier reibt sich was wund, wenn das so weitergeht.

Und es wird erst mal so weitergehen. Mit der SPD ist nichts anderes möglich, und dementsprechend macht Merkel Politik. Nicht zuletzt eine Antidiskriminierungsrichtlinie, die viele Christdemokraten als ihren Sündenfall ansehen, viele, die für sie gekämpft haben. Eine Richtlinie, die jetzt die psychologische Wende markiert. Und die kann die Kanzlerin nicht zurückholen.

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