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Meinung: Die Realität ist französisch

Wie man auf geschickte Weise keinen Krieg führt – ohne es zu sagen

Von den Franzosen lernen, heißt Einfluss nehmen lernen. Während der Bundeskanzler gerade versucht, das Verhältnis zu US-Präsident Bush notdürftig zu kitten, macht Jacques Chirac in Verhandlungen mit den Amerikanern über die UN-Resolution zum Irak deutlich: Ohne uns geht gar nichts.

Deutschland hat sich diplomatisch ins Abseits begeben. Nicht nur, weil sich die Bundesregierung im Wahlkampf zuweilen im Ton vergriff. Sondern auch, weil die Position „kein Irak-Krieg, auch nicht mit UN-Mandat“ die politischen Gegebenheiten verkennt und sich der Welt, wie sie nun mal ist, verweigert. Wer den Irak nicht mit der Androhung von Gewalt zwingen will, Waffeninspekteure zuzulassen, muss deutlich machen, wie eine Eindämmungsstrategie stattdessen aussehen könnte, die es dem Diktator unmöglich macht, seine Aufrüstungsprogramme weiter zu verfolgen.

Von Frankreich lernen hieße auch, Realismus lernen. Denn man kann kaum behaupten, dass die Kriegsbegeisterung in Paris höher wäre als in Berlin. Die Franzosen haben lange abgewartet, bis sie Stellung zu den US-Plänen bezogen. Erst als Amerikaner und Briten einen Resolutionsentwurf vorlegten, der beim geringsten Vergehen des Irak einen Kriegsautomatismus ausgelöst hätte, hat die französische Regierung laut Stopp gerufen. Und eine Rechnung aufgemacht. Die lautete: Wenn wir uns einer neuen, harten Irak-Resolution widersetzen, schlagen die USA ohne UN-Mandat los. Eine Doppelresolution aber, die Bedingungen stellt und gleichzeitig militärische Konsequenzen vorsieht, könnte einen Automatismus auslösen, der ebenso sicher zum Krieg führt.

Deshalb plädieren die Franzosen für zwei Resolutionen. Eine, die Saddam kein Schlupfloch lässt. Und nur für den Fall, dass Saddam Schwierigkeiten macht, eine zweite, die zu Militärschlägen ermächtigt. Zurzeit streiten Amerikaner und Franzosen um die Formulierungen. Die US-Regierung befürchtet, dass nach einer ersten Resolution, gegen die der Irak verstößt, keine zweite folgen würde. Deshalb wird jetzt an einer Version gefeilt, die nach einem möglichen Scheitern der Waffenkontrolle zumindest einen festen Zeitrahmen vorsieht, innerhalb dessen eine weitere Resolution verabschiedet wird.

Schröder ist inzwischen nicht nur in Europa zum Kronzeugen derer geworden, die jegliche Art von militärischem Vorgehen gegen den Irak ablehnen. Die Vertretung europäischer Interessen auf internationalem Parkett übernehmen aber zurzeit die Franzosen – trotz ihres Alleingangs. Sollte ein Krieg verhindert werden, wird das vor allem an der Pariser Regierung gelegen haben, die mit einem klugen Mittelweg die besten Voraussetzungen für eine friedliche Lösung geschaffen hat. Noch ist aber auch ein Krieg weiter möglich. In diesem Falle könnte Deutschland wohl noch eine Lektion von Frankreich lernen: Wie man nur ein bisschen mitmacht. Gerade so viel, dass es niemandem so richtig auffällt.

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