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Die Rettung: Erhabene Momente in Chile

Man mag das alles kitschig nennen, aber wir haben mitgefühlt mit den eingeschlossenen Bergleuten in Chile. Dass solche Empathie möglich ist, dieses Hineinfühlen in den Gefühlshaushalt anderer Menschen, in ihre Sorgen und Nöte, beruhigt. Ein Kommentar.

Eingesperrt sein unter Tage, 700 Meter in der Tiefe der Erde, da, wo mythologisch die Unterwelt graust und die Hölle lodert, lebendig begraben, eingemauert in Dunkelheit und Stille – allein diese Vorstellung lässt erschaudern und macht Angst. Es ist eine Urangst der Menschheit, und weil wir alle sie zu kennen glauben, haben wir seit dem 5. August wohl eine Ahnung, was die 33 eingeschlossenen Bergleute unter der Atacama-Wüste fühlen. Und weil das so ist, ist die Freude über ihre Rettung so groß, weltweit, so anteilnehmend.

Freude über die Rettung der 33 Männer, Freude auch über die in dieser Zeit von allen erlebten Siege der Menschlichkeit. Erhobenen Hauptes klettern die Bergleute aus der Tiefe empor, aus der engen Röhre, die für sie zum zweiten Geburtskanal wurde. Und erhaben. Sie haben gesiegt über den Menschen, der dem Menschen so oft ein Wolf ist. Sie haben die ersten siebzehn Tage überstanden, ohne, dass Hilfe und Überleben in Aussicht standen, und offensichtlich ohne sich zu befehden oder zu zerfleischen.

Sie haben auch in den Wochen und Tagen danach, die nur für uns draußen Wochen und Tage waren und für die Eingeschlossenen eine einzige lange Nacht, als verbaler Zuspruch von oben kam und sich der Bohrer in den Stein fräste, bewiesen, dass Solidarität und Zusammenhalt immer noch überlebensnotwendige Werte der Menschheit sind. Einen Beweis, den dann die Psychologen und Helfer und Retter, die in den Schlund hinabfuhren, untermauerten.

Man mag das alles kitschig nennen und das glückliche Happy End an Hollywood überweisen, aber dann ist man schon verderbt vom Zynismus der Realität. Eine Realität ist eben auch der gemeinschaftliche Widerstand der Bergleute gegen fahrlässige Sicherheitsvorkehrungen, die sie womöglich erst in ihre Lage gebracht hatten und gegen die Selbstaufgabe. Den Glauben nicht zu verlieren, egal, woher er sich speist, auch das ist eine unüberhörbare Botschaft.

Wir draußen auf der anderen Seite des Planeten haben zugeschaut, erst entsetzt, zunehmend bewundernd. Mitleidig? Nein, mitgelitten haben wir nicht, so wie wir mitleiden, wenn in unserer Nachbarschaft ein Kind gemobbt wird. Wir haben mitgefühlt, emphatisch, und wenn man es pathetisch will, dann haben all die Millionen, die an den Fernsehern zusahen, wie die glücklichen Männer dem scheinbar sicheren Tod trotzten und entkamen, jeden einzelnen als einen der Unseren empfunden. Dass solche Empathie möglich ist, dieses Hineinfühlen in den Gefühlshaushalt anderer Menschen, in ihre Sorgen und Nöte, beruhigt. Denn der Mensch ist nicht nur Rechnungsgröße, Arbeitskraft, Wirtschaftsfaktor, wie bei uns zuletzt oft. Die tiefen Gefühle aber machen das Menschliche aus. Und sie zu erleben, ist ein Trost, den die Katastrophe der Mine San Jose bereithält.

Die Rettung der Männer wird nun, so ist das heutzutage, medial verarbeitet. Vielleicht werden sie dabei reich, das sei ihnen zu gönnen. Im Berg schon haben sie einander gelobt, gewisse Vorkommnisse ihrer Tage unter Tage auszuklammern, darüber nicht zu reden. Auch das ist ein Versprechen voller Würde, weil es die Intimität der 33 Männer wahrt.

Sie tun gut daran, wie sie überhaupt in dieser Extremsituation ganz offensichtlich sehr klar und überlegt gehandelt haben. Wir anderen, wir Zuschauer, tun gut daran, sie ihre Geheimnisse wahren zu lassen. Anderenfalls schlägt die Empathie um in bloßen, in hässlichen Voyeurismus.

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