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Meinung: Die Säulen der Schule

„Schonraum und Ernstfall“ vom 4. August Viele Pädagoginnen und Pädagogen können sicherlich den Thesen von Wolfgang Harnischfeger zur Veränderung schulischer Bildung zustimmen.

„Schonraum und Ernstfall“ vom 4. August

Viele Pädagoginnen und Pädagogen können sicherlich den Thesen von Wolfgang Harnischfeger zur Veränderung schulischer Bildung zustimmen. Harnischfegers Äußerungen tun der pädagogischen Seele gut, zumal sie von einem ehemaligen Leiter eines Gymnasiums stammen. Er nimmt die Tradition der Reformpädagogik auf und formuliert sie zeitgemäß.

Das Problem liegt in der Realisierung dieser pädagogischen Vorstellungen. Die Umsetzung der von Harnischfeger genannten Prinzipien in die Schulpraxis setzt eine andere Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion der Schule voraus, ist also ein Politikum. Solange die allgemeinbildende Schule wesentlich dazu dient, Berufs- und Sozialchancen in einer gesellschaftlich akzeptierten Weise, nämlich durch Schulnoten und Schulabschlüsse, zu verteilen, können die von Harnischfeger genannten „Säulen der Schule“ nicht in praktische Pädagogik umgesetzt werden.

Das vergleichende (und immer stärker zentralisierte) Bewertungssystem zwingt zum Stoff-Lehren und -Lernen, und zwar von abprüfbarem Wissen. Damit wird die Systematik des Stoffes, die die einzelnen Fächer bieten, zementiert und jede Pädagogik außerhalb dieser Lehr- und Prüfungssystematik wird zum schmückenden Beiwerk des schulischen Alltags. Insofern mögen Harnischfegers sympathische Äußerungen viel Beifall finden, sie bleiben aber idealistisch, solange die Gesellschaft auf unserem Bildungssystem beharrt.

Versuche – wie zum Beispiel das Produktive Lernen –, innerhalb unseres Schulsystems Bildung nach reformpädagogischen Grundsätzen zu gestalten, stoßen an enge Grenzen: Individualisierung wird durch das normierende Prüfungssystem eingeschränkt, die von Harnischfeger genannte „Ganzheitlichkeit“, Erklärung von Phänomenen zur Erschließung von Theorie, insbesondere die Wiedereinbeziehung praktischer Tätigkeit in den Bildungsprozess, wird durch starre Stundentafeln und feste Lehrpläne inhaltlich und organisatorisch blockiert. Nur Ausnahmeregeln, die mit Lernschwierigkeiten von Schüler/inne/n legitimiert werden müssen, lassen abweichende Bildungskonzepte in Einzelfällen zu. Vielleicht führt der Widerstand der Betroffenen gegen nicht mehr akzeptierte Bildungsinhalte und -formen langfristig zu einem Umdenken hinsichtlich der Bedeutung von Schule.

Prof. Dr. Jens Schneider,

Berlin-Wannsee

Herr Harnischfeger stellt in seinem Beitrag das Konzept einer zeitgemäßen Schule vor, das sich entscheidend von dem abhebt, was Precht, Hüther u. a. fordern: eine Schule, die Eigentätigkeit und Kreativität des Kindes und Jugendlichen in den Vordergrund rückt. Er behauptet, dass bei denen nur Individualisierung stattfindet, keine Enkulturation. Ich glaube, da irrt er.

In Berlin gibt es mit der Evangelischen Schule Berlin Zentrum eine Schule, die bereits seit mehreren Jahren genau mit dem unterwegs ist, was Schule im 21. Jahrhundert sein sollte und was er fordert, aber weitaus mehr realisiert, als er in seinem Konzept darstellt. Allein folgender Punkt des Schulethos der Schule und die Praxis seit mehreren Jahren widerlegen seine These, dass nur das Individuum im Blick sei: Es heißt: „Wir wollen, dass Kinder Mut zu und Freude an sozialer und ökologischer Verantwortung entwickeln. Verantwortung lernen und zivilgesellschaftliches Engagement im Gemeinwesen sind zentrale Elemente unserer Lernkultur“.

Herr Harnischfeger fordert, dass nicht Stoffvermittlung an erster Stelle stehen darf, sondern dass Schule ein Raum zum Leben für Kinder und Jugendliche sein muss, für Sacherfahrung, Sozialerfahrung und Gefühlserfahrung. Schule muss den Bezug zur Arbeitswelt und Kultureinrichtungen herstellen. Er verlangt auch, dass der Schüler Selbstwirksamkeitserfahrungen macht und Verantwortung übernimmt und seine Konsumentenrolle aufgibt.Er zeigt aber nicht auf, wie diese in seiner Schule umgesetzt werden. Dabei gibt es seit z.T. mehr als zehn Jahren große Erfahrungen, wie Engagement und Beteiligung von Schülern stattfinden kann. Es ist das große Verdienst von Stiftungen in Deutschland, die zeigen, wie Persönlichkeitsbildung des jungen Menschen durch Aktionen und Projekte in- und außerhalb der Schule zu wertvollen Kompetenzen und Qualifikationen führen.

„Lokale Bildungslandschaften“ ist seit einigen Jahren der gängige Begriff und bedeutet die Vernetzung der Schule mit dem Lebensumfeld in der Kommune und führt zu den jungen Bürgern, die die Zivilgesellschaft braucht. Schüler zeigen soziales Engagement, indem sie in kommunalen Einrichtungen (Kita, Hort, Seniorenheim, Bahnhofsmission, Wärmestube, Berliner Tafel usw.) in ihrer Freizeit nach dem Unterricht, am Wochenende und in den Ferien aktiv werden - von sich aus (intrinsisch) und nicht durch die Schule motiviert, vorbereitet, begleitet und evaluiert.

Viele Stiftungen und Organisationen bieten sich seit Jahren ideell, materiell und auch personell an, mit Schulen zu kooperieren. Erziehung zum demokratischen Verhalten kann entscheidend durch den Klassenrat herbeigeführt werden. Er kann bereits in jungen Jahren stattfinden, wäre aber vor allen Dingen in den Pubertätsjahren von großer Bedeutung. Bei der Auflistung der Säulen der Schule nennt Harnischfeger fünf Punkte, die eine heutige Schule ausmachen müssten und beschreibt Missstände (Koalition des Mittelmaßes, Steckenbleiben in der Kindergartenzeit). Dazu fordert er Organisationsformen, die den Unterrichtsalltag entscheidend verändern und zu den Ergebnissen führen würden, die wir brauchen. Sie sind alle richtig und von Bedeutung. Aber wie können diese guten Ziele in unseren Schulen erreicht werden?

Jürgen Clausen, Berlin-Friedenau

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