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Meinung: Die Sprache der Industrie

Das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften: gebremste Wut

Wer zieht wen in den Abgrund? Die Sozialdemokraten die Gewerkschaften oder umgekehrt? Oder beide gemeinsam das ganze Land, wie der CDU-Mann Friedrich Merz meint? Gut, dass es Merz gibt. Denn der gemeinsame Gegner auf der Rechten ist übrig geblieben von dem Bündnis der SPD und der Gewerkschaften; die Geschichte der Arbeiterbewegung haben beide Organisationen maßgeblich geschrieben. Gemeinsam haben sie die Arbeitsumstände und Lebensverhältnisse der Arbeitnehmer verbessert, die Demokratie gefestigt, die Entwicklung von Staat und Gesellschaft geprägt. Eine Allianz, der wir viel zu verdanken haben.

So viel zur Geschichte, die erst vor knapp sechs Jahren einen weiteren, kleinen Höhepunkt erfuhr, als die SPD mit Hilfe der Gewerkschaften die Wahl gewann. Gerhard Schröder, ein Mann aus bescheidenen Verhältnissen, übernahm das Kanzleramt. Und der Wahlsieger wusste, was sich gehört: Er gab sich als Erstes die Ehre beim Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und bedankte sich bei den Kolleginnen und Kollegen für die Unterstützung. Das war in Duisburg, also mitten im so genannten Stammland der Sozialdemokraten, wo sich die Parteien gerade für den Kommunalwahlkampf im September präparieren. Das ist sozusagen das Warmlaufen für die Landtagswahl im Frühling. Mal wieder Schicksalswahl für die SPD, das wissen auch die Gewerkschaften. Doch was sollen die tun? Dem alten Partner helfen oder dessen Politik permanent als unsozial denunzieren?

Sie wissen es selbst nicht. Vielleicht, weil sie unter Schock stehen, vielleicht, weil sie „dem Gerd“ so viel Konstanz nicht zugetraut hatten. Der zieht seine Agenda 2010 durch. Und wenn das eine oder andere hakt und ein Kompromiss mit der Union gefunden werden muss, dann gibt die SPD nach. Häufig zu Lasten der Arbeitnehmer, der Patienten, der Arbeitslosen. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer platzt fast vor Wut, wenn Industriepräsident Michael Rogowski dem Kanzler zuruft: „Halten Sie Kurs!“ Und schlimmer noch: Schröder hält Kurs. Was wiederum den DBG-Chef vom Kurs abbringt. Statt Konsens mit dem Kanzler betont Sommer zunehmend den Konflikt. Ob Sommer Frau Merkel will?

Natürlich nicht. Obwohl manches einfacher wäre für die Gewerkschaften. Eine CDU-Regierung hätte größere Schwierigkeiten mit der Durchsetzung der Agenda 2010. Weil der DGB mit seinen sieben Millionen Mitgliedern noch immer respektable Kampagnen anzetteln kann. Gegen die SPD ging das nur mit halbem Herzen und null Erfolg. Aber gegen einen Finanzminister Merz und einen Wirtschaftsminister Westerwelle? Wir würden uns wundern.

So gesehen müssen wir womöglich dankbar sein, dass trotz allen öffentlichen Streits die Allianz von SPD und DGB überhaupt noch hält. Schröder kann das Unumgängliche durchsetzen, obgleich es den Gewerkschaften so weh tut. Ganz grob gesagt, ist die Agenda ja notwendig. Aber die Reformen betreffen eben vor allem die sozial Schwachen, also die Klientel der Gewerkschaften. Womöglich ist das aber langfristig sozialer und wirtschaftlich erfolgreicher als der Status quo. Schröder glaubt das, aber er kann es nicht erklären. Oder er kann es dem Industriepräsidenten erklären, aber nicht dem DGB-Chef. Diese Sprachlosigkeit könnte sogar die 140-jährige Beziehung von Gewerkschaften und Sozialdemokratie sprengen. Und dann? Allein wird es für beide schwierig im grenzenlosen Kapitalismus.

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