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Meinung: Die Straßenfegerin

Die Methode Merkel: Sie zerlegt den Reformweg in kleine Teile. Abgerechnet wird am Ziel

Man kann nicht sagen, dass die Bundeskanzlerin die Haushaltsdebatte zu einer mitreißenden Rede genutzt hat. Was Angela Merkel im Parlament am Mittwoch für die „zweite Etappe“ ihrer Amtszeit mitzuteilen hatte, war im Grunde die Ankündigung, so weiterzumachen wie bisher: In kleinen Schritten, Konflikte vermeidend, unspektakulär im Auftritt.

Wer also darauf gehofft haben sollte, nach den Landtagswahlen werde ein Ruck durch die große Koalition gehen, sieht sich enttäuscht. Alterung der Gesellschaft, Kindermangel, Rekordverschuldung, Massenarbeitslosigkeit – Schwarz-Rot steht vor großen Problemen, aber nicht für große Entwürfe. Merkels Methode besteht im Gegenteil darin, eine Reform nach der anderen abzuarbeiten, so unaufgeregt wie möglich. Ein wenig erinnert die Herangehensweise an Beppo den Straßenkehrer aus Michael Endes Roman „Momo“, der die schier endlose Straße gedanklich in kleine Stücke zerteilt, damit die Aufgabe bewältigbar wird. Bei Merkel heißt das dann „acht wichtige Projekte “.

Bei der Aufzählung dieser Vorhaben ist Angela Merkel im Bundestag ziemlich vage geblieben, und auch das hat Methode. Zu Projekt Nummer acht beispielsweise, der Gesundheitsreform, über welche die Koalitionsspitzen am Mittwochabend erstmals beratschlagten, wusste die Kanzlerin vor allem zu sagen, dass beide Partner sich nicht auf die Verteidigung „heiliger Kühe“ beschränken dürften.

Ansonsten beließ es die Regierungschefin bei der Formulierung allgemeiner Ziele. Wer wissen will, wie Union und SPD mit völlig unterschiedlichen Ansätzen das marode Gesundheitswesen denn nun reformieren wollen, muss sich bis zum Sommer gedulden.

All das dient nicht nur der Wahrung des Friedens in einer Koalition von der Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn zu Recht sagt, sie sei eher breit als groß. Es geht Merkel darüber hinaus vor allem darum, Widerstände in der Bevölkerung erst gar nicht aufkommen zu lassen. Sie hat offenbar viel aus den Fehlern der Vorgängerregierung gelernt, die in großer Geste immer wieder neue Maßnahmen verkündete, gegen die dann ein jeder nach seiner Façon Sturm laufen konnte. Bei Merkels Trippelschritt-Politik wissen Opposition und Interessenverbände nicht so genau, wogegen sie Front machen sollen – und wenn sie es denn wissen, bekommen sie es mit der erstickenden Wirkung der schwarz-roten Mehrheit zu tun, gegen die große Debatten schwer möglich sind. Die Linkspartei hat das in den Landtagswahlkämpfen beim Thema Rente mit 67 schmerzlich erfahren müssen.

Und doch ist die Beliebtheit, welcher sich Schwarz-Rot und die Kanzlerin erfreuen, nur eine geborgte. Am Werk ist eine Koalition auf Kredit, deren Vertrauensvorschuss sich noch aus dem Negativbeispiel ihrer Vorgänger und einer gewissen Politikerschöpfung der Wähler speist. Irgendwann wird diese Matrize verblassen, werden die Stilfragen in den Hintergrund treten. Spätestens dann werden für die große Koalition die ersten Raten fällig, zahlbar in Erfolgen. Denn nur daraus, und nicht aus einem neuen Stil der Nüchternheit, kann Schwarz-Rot seine Legitimation ableiten.

„Qualität geht vor Schnelligkeit“, hat die Kanzlerin mit Blick auf die Beratungen von SPD und Union über die Gesundheitsreform im Bundestag gesagt. Das steigert die ohnehin großen Erwartungen. Der Sommer kommt unter Garantie. Dann wird man die Reformfähigkeit der großen Koalition am Projekt Nummer acht messen dürfen – und auch die Tragfähigkeit der Methode Merkel.

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