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Meinung: Die Tour frisst ihre Kinder

Einer wie alle: Auf Jan Ullrich lastet der Dopingverdacht – wie auf 57 anderen Radprofis

Der Vorgang ist gewaltig. T-Mobile, Sponsor und sozusagen Eigner des Radprofis Jan Ullrich, verzichtet bis auf Weiteres auf dessen werbeträchtige Mitarbeit, eben weil sie nicht mehr werbeträchtig zu sein scheint, sondern imageschädigend. Es war für den Geldgeber zunächst unerheblich, ob der Star tatsächlich gedopt hat oder nicht. Er hat gelogen in brisanter Sache, das reichte. Jetzt möge er Beweise seiner Unschuld vorlegen, heißt es.

Vorverurteilung? Hysterie? Eher nicht, eher schon der ziemlich verzweifelte Versuch des Arbeitgebers, im Kampf gegen Doping eine klare Linie zu behalten. Und auch der Versuch, den Glauben zu wahren, dass es so etwas gibt wie ein richtiges Leben im falschen, sprich: einen sauberen Weg im verseuchten Sport. Schon mehrfach haben sich Sponsoren zurückgezogen, aber erst nachdem sie lange die Augen verschlossen hielten vor erdrückenden Indizien. Im Verdacht stehen aktuell 58 Fahrer, auch Topstars der Rundfahrt. Die Tour de France droht zur Farce zu werden.

Das Traurige im Noch-nicht-, aber Verdachts-Dopingfall Ullrich ist, nein, nicht, dass es ihn selbst traf, sondern dass er offensichtlich dazugehört zu dieser Szene. Traurig ist nicht, dass er vermutlich bei einer Lüge ertappt wurde. Traurig ist, dass die winzige Resthoffnung verschwindet – dieses rudimentäre Vertrauen darauf, dass es ein paar Solitäre gibt, die diesen Sport allein mit Leidenschaft und Talent betreiben – und nicht auch mit Hilfe dubioser Medizinmänner.

Oder haben wir das gar nicht mehr geglaubt, haben wir augenzwinkernd in Kauf genommen, dass auch unser wiedererstrahlter Jan Ullrich nicht der saubere Sportler ist, den er vorgibt? Das ist wohl so, und es betrifft Publikum und Medien gleichermaßen. Ebenso augenzwinkernd schauen wir bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zu, und wenn einer der Unsrigen gewinnt, dann leugnen wir flugs und kollektiv das Wissen um eine andere Realität.

Aber auch der deutsche Sportler ist erst einmal nur Sportler, und damit Teil eines Systems, in dem die Vorteilsnahme immanent ist. Jan Ullrich stürzt – und er stürzt aus hoher Höhe. Weil wir uns doch alle so arg auf einen Sieg bei dieser Tour de France gefreut haben, trotz des Wissens, dass die Tortur de France, so spektakulär, wie Veranstalter und Publikum und Medien sie haben wollen, mit der reinen Kraft nicht zu gewinnen ist. Ein Pauschalurteil? Aber ja!

Polemik? Auch dies, aber deswegen muss sie nicht falsch sein.

Jan Ullrich war ein großer Sportler, ein grandioser sogar. Mal angenommen, bei all seinen Rennen sei das Feld komplett sauber gewesen, er wäre gewiss so erfolgreich gewesen, wie er es tatsächlich war. Aber nun ist er ein grandioser und verlogener Sportler, so wie, ja, alle anderen. Größe aber kann er nun noch einmal zeigen: Wenn er sich hinstellt, er, einer der Superstars dieses Sports, und sagt, ja, so ist es, ja, wir dopen alle. Das könnte ein Ende der Verlogenheit sein.

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