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Meinung: „Die USA verstehen …

… das Ausmaß der gegenseitigen Verpflichtung nicht, das eine EU-Mitgliedschaft ausmacht. Das ist nicht bloß ein Handels- und Sicherheitsblock, sondern da werden auch die Prinzipien beispielsweise des Strafrechts und der Sozialpolitik geteilt.

… das Ausmaß der gegenseitigen Verpflichtung nicht, das eine EU-Mitgliedschaft ausmacht. Das ist nicht bloß ein Handels- und Sicherheitsblock, sondern da werden auch die Prinzipien beispielsweise des Strafrechts und der Sozialpolitik geteilt.“

Mit dieser Analyse des transatlantischen Unwissens über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei umschrieb John Bruton, der von der EU-Kommission als neuer Botschafter in Washington nominiert wurde, den Kern seiner Aufgabe. Der ehemalige irische Premierminister ist der erste Politiker, der diese Diplomatenrolle übernimmt. Bisher amtierten EU-Funktionäre. Es wird seine Aufgabe sein, ein Netzwerk von Kontakten in Washington aufzubauen – eine Disziplin, in der die irische Diplomatie regelmäßig brilliert –, um dort Verständnis für die Haltung der EU zu wecken. Er wolle, erklärt der christdemokratische Politiker aus der Fine-Gael- Partei, der 35 Jahre lang im irischen Parlament saß, die Entscheidungen der EU über die Beziehungen zur Türkei getreulich für die Amerikaner übersetzen. Denn obwohl er sich bewusst sei, dass die amerikanische Sicherheitspolitik großes Gewicht auf die Türkei lege, so stehe doch fest, dass Europa ein noch viel vitaleres Interesse an guten Beziehungen zur Türkei habe.

Dabei müssten die Interessen der Türkei ebenso respektiert werden wie die bereits gegebenen Versprechungen der EU, namentlich die feierliche Erklärung von Helsinki im Jahr 1999. Bruton erinnerte an zahlreiche Aussagen von US-Präsidenten zu diesem Thema, etwa an den Aufruf von Präsident Bush im vergangenen Juni in Irland. Da wolle er nun in Washington versuchen, den Amerikanern zu erklären, was ein EU-Beitritt der Türkei wirklich bedeute.

Der 57-jährige Bruton gilt als Wertkonservativer, der rastlos und kreativ nach immer neuen Lösungen für alte Probleme sucht. Sein politisches Fingerspitzengefühl lässt ihn bei der Umsetzung dieser Geistesblitze gelegentlich im Stich. So stürzte 1982 eine von Fine Gael geführte Koalitionsregierung, weil Finanzminister Bruton die Mehrwertsteuer auf Kinderschuhe ausdehnen wollte. Und auch als Premier zwischen Ende 1994 und 1997 zeigte sich seine Ungeduld gelegentlich beim Umgang mit dem damals sehr fragilen Friedensprozess in Nordirland. Aber der überzeugte Europäer gilt in Irland inzwischen als Elder Statesman, der für sein neues Amt hervorragend geeignet ist, nicht zuletzt, weil die Iren in Washington gern gesehen werden.

Martin Alioth

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