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Meinung: Die Waffen der Politik

Die Grünen wollen das Raketensystem Meads, weil der Kanzler es will

Von Robert Birnbaum

Wer etwas über die aktuellen Ängste der Regierungskoalition vor der näheren Zukunft wissen will, braucht dieser Tage nur zum Zirkel zu greifen. Er sollte das Messgerät etwa in der Nähe von Kassel in eine Europakarte stechen und einen maßstäblichen Kreis von 1000 Kilometern schlagen. Die Zirkelspitze wird im Osten Rumänien und die Ukraine streifen und im Westen nicht ganz die Pyrenäen. Irgendwo innerhalb dieses Kreises müsste eine feindliche Rakete starten, die die Bundeswehr mit dem Raketenabwehrsystem Meads abfangen könnte. Also ein Angriff vom Boden der Europäischen Union und der unmittelbaren Anrainer aus. Das klingt absurd? Tja, dann werden wir also wohl über die wirklichen Ängste reden müssen.

Die haben, man ahnt es schon, mit dem Waffensystem namens Meads recht wenig zu tun, dafür umso mehr mit dessen politisch-symbolischer Aufladung. Das eigentliche Waffensystem ist, kurz erklärt, eine Weiterentwicklung des Systems Patriot – jener Abfangrakete, die im Kalten Krieg im Frontland Deutschland stand und im Golfkrieg 1991 mit mäßigem Erfolg Saddam Husseins Raketenschüsse auf Israel unschädlich machen sollte. Meads soll, wenn es in einem Jahrzehnt fertig ist, das gleiche etwas besser können und in das Transportflugzeug A400M passen.

Die Meads-Befürworter nennen zwei Hauptaufgaben: Schutz vor Terroranschlägen und Schutz deutscher Soldaten im Auslandeinsatz. Auf den ersten Blick klingt das plausibel. Auf den zweiten ist es, mit Verlaub, Quatsch. Meads schützt nicht vor Raketen, die weiter fliegen als jene 1000 Kilometer, es schützt aber vor allem auch nicht gegen Geschosse, die aus wenigen Kilometern Distanz abgeschossen werden. Heute in Kabul oder Kundus stationiert, wäre es nutzlos. Zum Schutz eines Atomkraftwerks vor tragbaren Kleinraketen ist es ebenfalls untauglich – dass Terroristen unbemerkt in Südnorwegen militärische Kurzstreckenraketen starten können, wollen wir ja wohl bitte schön nicht annehmen. Szenarien hingegen, in denen Meads etwas taugen würde, riechen streng nach Irakkrieg. Nicht ausgeschlossen, dass die Bundeswehr mit der Nato irgendwann in einen solchen fernen Krieg ziehen muss. Nur – sehr wahrscheinlich ist es nicht.

Das ist überhaupt das Problem bei Meads und der Grund dafür, dass quer durch die Parteien bei den Experten Magengrimmen herrscht: Es gibt Gründe dafür, das Rüstungsprojekt weiter zu verfolgen – nur sind es weniger die fachlichen. Da ist von Aufträgen für die Industrie die Rede und hochqualifizierten Arbeitsplätzen. Da wird darauf hingewiesen, dass das deutsch-italienisch-amerikanische Gemeinschaftsprojekt das derzeit einzige transatlantische Rüstungsgroßvorhaben ist. Beides ist richtig. Aber beides reicht nicht, ein Projekt zu rechtfertigen, dessen militärischer Nutzen auf Spezialfälle beschränkt ist. Mindestens drei und vermutlich viel, viel mehr Milliarden Euro sind überdies arg teuer für ein kleines Signal deutsch-amerikanischer Freundschaft.

Die Grünen wissen das alles. Die Experten von Union und SPD auch, doch die tun sich traditionell leichter damit, Rüstungspolitik wesentlich als Bündnis- und Industriepolitik zu begreifen. Die Grünen trauen sich indessen nicht, aus ihrer Erkenntnis die Konsequenz zu ziehen. Sie beugen sich dem Druck der SPD, des Kanzlers, der Warnung vor einer Koalitionskrise.

Man könnte das realpolitisch vernünftig nennen – viereinhalb Wochen vor einer Landtagswahl, die über das Schicksal der Bundes-Koalition mitentscheidet. Aber es ist Realpolitik aus Schwäche. Die Grünen wissen nur zu gut, dass ihr erster Mann Joschka Fischer für die SPD zum ersten Mal zur Belastung geworden ist. Der kann im Moment gewiss keinen Konflikt führen. So hält seine Partei still, murrend. Für die Grünen ist das nicht gut. Ob wenigstens für die SPD? Na schön, es ist mal wieder klargestellt: Hier Koch, da Kellner. Wenn nur nicht das Restaurant, in dem da angerichtet wird, mittlerweile so verdächtig baufällig wirken würde!

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