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Meinung: Die Wegweiser sind müde

Die EU ist auf das Duo Paris-Berlin angewiesen – die beiden müssen aber auch wollen

Von Albrecht Meier

Ein seltsames Duo: Der eine kann vor Kraft kaum laufen, der andere kann nur hoffen – auf einen Aufstieg aus dem Tal der Umfragen. So werden Frankreichs Staatspräsident Chirac und Kanzler Schröder beim heutigen Gipfel in Schwerin zusammentreffen und das Unmögliche versuchen: Den Eindruck zu erwecken, dass den deutsch-französischen Beziehungen nichts etwas anhaben kann – keine Wahl, kein Agrar-Streit und auch nicht die gegensätzlichen Positionen zur EU-Osterweiterung. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Man muss schon lange suchen, um ein aktuelles Ereignis zu finden, das Deutsche und Franzosen miteinander verbindet. Im Moment ist das am ehesten vielleicht noch die Erkenntnis, dass die globale Achterbahnfahrt der Börsen keine Nationalstaaten mehr kennt, sondern nur noch Firmen und deren gefährdete Chefs. Erst der französische Medienunternehmer und Vivendi-Chef Jean-Marie Messier, dann der Bertelsmann-Vorstandschef Middelhoff – für beide wurde der Umbau eines nationalen Medienunternehmens zu einem internationalen Giganten zu ihrem Schicksal. Die Parallele ist zwar augenfällig – aber kaum ausreichend, um das deutsch-französische Paar aufs Neue zusammenzuschweißen.

Dabei leben Berlin und Paris immer noch mit dem Anspruch, dass sich in Europa bis jetzt immer noch alles zum Guten gewendet hat, wenn sich beide einig gewesen sind. Allerdings haben sie nun das Pech, ihren Führungsanspruch an den drei schwierigsten Themenfeldern messen lassen zu müssen: Die umstrittene Finanzierung der EU-Osterweiterung, die grundlegende Reform der gemeinsamen Agrarpolitik und die Kleinigkeit, die schlicht als „Zukunft der Europäischen Union“ bezeichnet wird. Gemeint ist damit Europas Suche nach einer gemeinsamen Verfassung.

Fraglich ist nur, ob Deutschland und Frankreich gegenwärtig in der Lage sind, den anderen 13 EU-Partnern derartige Wegmarken aufzuzeigen. Nicht nur angesichts des heutigen deutsch-französischen Treffens, das gerade mal als Stimmungsbarometer für den auf die Zeit nach der Wahl verschobenen Streit über die Agrarpolitik taugt, ist eine solche Frage erlaubt. Auch in Perioden, die nicht von Parlamentswahlen überschattet waren, hat das deutsch-französische Verhältnis viel von seiner Strahlkraft eingebüßt.

Das liegt zunächst einmal daran, dass dem europäischen Muster-Paar die Begründung für sein Zusammensein abhanden gekommen ist. Unmittelbar nach dem Krieg galt es, Deutschland einzubinden. Später mussten dann Deutschland und Frankreich als Protagonisten gegensätzlicher Interessengruppen in der EU herhalten, die es miteinander zu verbinden galt. Auch dies ist schon nicht mehr richtig: Deutschland verfolgt beispielsweise bei der Reform der Agrarpolitik sowohl ein schnelleres als auch ein langsameres Tempo – je nachdem, ob man Kanzler Schröder oder seinem Herausforderer Stoiber glaubt. Längst gibt es in der EU viele kleine Koalitionen, die von deutsch-französischen Vorabsprachen nichts wissen wollen: Spaniens Regierungschef Aznar fährt Tandem mit dem britischen Premier Blair, wenn es um den Kampf gegen die illegale Einwanderung geht. Und der belgische Regierungschef Verhofstaedt unterbreitet seine Ideen für eine schlagkräftige EU-Eingreiftruppe – nein, nicht Deutschland, sondern den Militärmächten Großbritannien und Frankreich.

Mit dem Hinweis, unterschiedliche Koalitionen gehörten nun einmal zum Geschäft in der EU dazu, ist es aber nicht getan. Die Europäische Union wird gerade nach der Erweiterung mehr Lenkung nötig haben als jetzt. Wie man dies auch organisiert – in der Form eines „Direktoriums“ oder in wechselnder Staaten-Zusammensetzung: Berlin und Paris sollten diese Führung auch gemeinsam ausfüllen – sie müssen es aber auch wollen. Die bevorstehende Diskussion über die Erneuerung des 40 Jahre alten Elysée-Vertrages wird ein guter Anlass sein, darüber nachzudenken, was Deutschland und Frankreich wirklich noch verbindet.

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