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Meinung: Die Welt wartet nicht

George W. Bush in Wien: Langsam findet der Westen wieder zusammen

Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Amtszeit der Bush-Regierung ist ihr Verhältnis zu Europa. Vor dem Irakkrieg machte man sich in Washington über „old Europe“ lustig, das in den Zeiten des Kalten Krieges, als seine Sicherheit vor allem von den USA garantiert wurde, verlernt habe, dass für diese Sicherheit zuweilen robuste Politik nötig sei. Damals entschieden die unilateralen Muskelmänner in Washington, europäische Bedenken mit einem Schulterzucken abzutun: Sollen die Europäer mit den Folgen ihrer Irrelevanz doch selbst fertig werden.

Heute ist man in den USA immer noch der Meinung, Europa in den Zeiten des Kalten Kriegs zu einer Kultur der Unselbstständigkeit in sicherheitspolitischen Fragen erzogen zu haben. Nur anders als im Vorfeld des Irakkrieges sieht die Bush-Regierung das heute als ernstes Problem. Konfrontiert mit den Grenzen der eigenen Macht im Irak realisiert man, dass ein schwaches und nur auf sich selbst bezogenes Europa den USA und dem Westen als Ganzes schadet.

Die Rekonstruktion des Westens wird auf vielerlei Ebenen angegangen. Die Europäer haben das feinere Gespür dafür, dass der Kampf gegen den islamistischen Totalitarismus auch ein Krieg der Ideen ist, den die westlichen Demokratien nur gewinnen können, wenn sie das Wort von der „Wertegemeinschaft“ ernst nehmen. Und so hat George W. Bush beim gestrigen Gipfel in Wien seine Bereitschaft, Guantanamo zu schließen deutlicher geäußert als je zuvor. Es bleibt jedoch bei dem ganz praktischen Problem, was mit den Insassen dort geschehen soll.

Auch beim Umgang mit Irans Atomprogramm ließen sich die Amerikaner von den Europäern überzeugen. Sie haben sich zu direkten Gesprächen bereit erklärt und dem noch einmal verbesserten Angebot zugestimmt – was angesichts des Charakters des terrorfördernden Mullah-Regimes hart an die Schmerzgrenze einer jeden US-Regierung geht.

Eine andere wichtige Annäherung betrifft die europäischen Sicherheitsstrukturen. Die wurden in Washington lange Zeit als Konkurrenz zur Nato gesehen und besonders in der Ära Chirac/Schröder argwöhnisch beäugt. Inzwischen aber sehen die Amerikaner darin eine Chance, die Europäer zu mehr Sicherheitsengagement in der Welt zu bewegen. Und so hoffen die Amerikaner, dass die EU-Mission im Kongo zu einem Trainingscamp wird, das die Europäer befähigt, auch an anderen Orten der Welt stabilisierende Funktion zu übernehmen – etwa in Darfur.

Es muss nicht schaden, dass die neue Annäherung von einer gewissen Nüchternheit getragen ist. Gemeinsame Interessen verbinden verlässlicher als das Pathos des Kalten Krieges. Die USA beginnen zu ächzen unter den Kosten einer Weltmachtfunktion, die durch das Irakabenteuer noch einmal in gigantische Höhen geschnellt sind. Sie wünschen sich Partner, die nicht nur von der US-gestützten Stabilität profitieren, sondern mehr von den damit verbundenen Bürden übernehmen. Und angesichts der Krisenherde in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten und der geostrategischen Veränderungen durch den Aufstieg Chinas und Indiens haben auch die Europäer realisiert: Die Welt da draußen wartet nicht, bis im Westen wieder Eintracht herrscht. Es gibt schlicht zu viel zu tun.

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